10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Verbot der Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts; Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt für gleichwertige Arbeit;
Landesarbeitsgericht Niedersachsen,Urt. v. 10.09.2024, Az.: 10 SLa 221/24
Leitsatz:
1.Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts.
2.§ 3 Abs.1 und § 7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen.
3.Mit dem Begriff der gleichwertigen Arbeit werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind.
4.§ 22 AGG ist auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend.
5.Eine Partei muss nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung iSv. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies - auch unter Berücksichtigung des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) - aus, um die Vermutung iSv. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung wegen des Geschlechts erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen.
II.
Ordnungsgeld gegen nicht erschienene Partei
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 13.11.2024 - -5 Ta 69 a/24
Leitsatz:
1. Auch im Gütetermin des arbeitsgerichtlichen Verfahrens kann bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen gegen die zum Termin nicht persönlich erschienene, aber vertretene Partei ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.
2. Die Erklärung des Prozessbevollmächtigten an seine Partei, sie müsse trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht den Termin nicht wahrnehmen, entschuldigt das Fernbleiben der Partei nicht (im Anschluss an LAG Köln v. 14.11.1994 - 5 (4) Ta 159/94).
3. Die Ausübung des Ermessens bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes kann auch dadurch zum Ausdruck kommen, dass die Höhe des festgesetzten Betrags nur die Hälfte des üblicherweise festgesetzten Betrags beträgt.
III.
Wartezeitkündigung - Betriebsratsanhörung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.11.2024 - 10 Sa 817/23
Leitsatz:
1. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist der Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören.
2. Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht allerdings nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet.
3. Der Betriebsrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann
IV.
Abgrenzung Schenkungsteuer /Kapitalertragsteuer
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 17.09.2024 – 4 K 34/24 –
Leitsatz:
Rechtssystematischer Anwendungsvorrang der Schenkungssteuer bei einer freigebigen Zuwendung von Zinsvorteilen in Abgrenzung zur ertragsteuerlichen Berücksichtigung von fiktiven Zinserträgen
Orientierungssatz
1. Die Stundung der Kaufpreisforderung aus der Veräußerung eines zum Privatvermögen gehörenden Grundstücks im Wege einer Ratenzahlungsabrede ist als Einräumung eines Darlehens zu qualifizieren, welches zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führen kann. Dies gilt auch dann, wenn die Vertragsparteien eine Verzinsung ausdrücklich ausgeschlossen haben (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des BFH z.B. BFH, Urteil vom 14.07.2020 VIII R 3/17, BStBl. II 2020, 813).(Rn.19)
2. Zur Berechnung des Kapitalertrags sind die Kaufpreisraten gemäß §12 Abs. 3 BewG in einen Zins- und einen Tilgungsanteil aufzuteilen, wobei im Streitfall offenbleiben kann, ob der gesetzliche Zinssatz gemäß § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG in Höhe von 5,5% in den Jahren 2021 und 2022 noch als verfassungsgemäß qualifiziert werden kann.(Rn.28)
3. Wird der Zins- bzw. Kaufpreisvorteil aus der Ratenzahlungsabrede z.B. im Rahmen eines Angehörigenvertrages ausdrücklich verschenkt und ist die Schenkung als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 ErbStG zu qualifizieren, dann tritt die Ertragsbesteuerung des Zinsanteils rechtssystematisch zurück (Abweichung von FG Köln, Urteil vom 27.10.2022 7 K 2233/20, EFG 2023, 682).(Rn.26) (Rn.22)
4. Revision eingelegt (Az des BFH: VIII R 30/24).
V.
anfänglicher Mangel Mietsache
OLG Oldenburg, Urteil vom 25.11.2024 – 9 U 40/23
Leitsatz:
Ein anfänglicher Mangel der Mietsache liegt bei einer voll ausgestatteten Ferienwohnung auch dann vor, wenn mitvermietetes Inventar einen Produktfehler hatte oder im Zeitpunkt des Vertragsschlusses derart abgenutzt war, dass es unzuverlässig und daher für einen gefahrlosen Gebrauch der Mietsache ungeeignet war.
VI.
Beweislast für Schäden bei Mietfahrzeugübernahme
LG Münster ,Urteil vom 11.10.2024 – 10 O 52/24
Leitsatz:
1. Der Vermieter eines Fahrzeugs trägt nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Beweislast dafür, dass das Fahrzeug vor der Übernahme durch den Mieter unbeschädigt war
2. Regelungen im Mietvertrag über das Fahrzeug und seinem Zustand kann keine Beweis(last)relevanz zukommen. Insbesondere kann eine solche Regelung nicht zu einer Beweislastumkehr führen, weil ansonsten ein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB vorliegen würde. Es gibt keine Beweiserleichterungen für den Vermieter.
VII.
Entziehungsbeschluss gem. §17 WEG
LG Frankfurt, Urteil vom 05.09.2024 – 2 13 S 612/23, 2/13 S 612/23
Leitsatz:
1. Aus einer Abmahnung, die einem Entziehungsbeschluss gem. §17 WEG vorauszugehen hat, muss hinreichend deutlich werden, dass die Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens zum Eigentumsverlust führt, die Androhung von Zahlungsklagen genügt nicht.
2. Die Abmahnung fällt nach der WEG-Reform in die alleinige Zuständigkeit der GdWE, so dass diese im Regelfall von dem Verwalter (§ 9b Abs. 1 WEG) zu erteilen ist. Einzelne Eigentümer können mangels Vertretungsbefugnis auch in einer verwalterlosen Gemeinschaft eine Abmahnung nicht wirksam erklären.
3. Eine Beschlusskompetenz, durch Beschluss einzelne Wohnungseigentümer zur Vertretung der GdWE zu ermächtigen, besteht nicht.
VIII.
nicht marktüblich verzinstes Darlehen ist gemischte Schenkung
Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.07. 2024 - II R 20/22
Leitsätze:
1. Die Gewährung eines nicht marktüblich verzinsten Darlehens ist als gemischte Schenkung zu versteuern.
2. Bei der Bemessung des Zinsvorteils kann der in § 15 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes festgelegte Zinssatz von 5,5 % nicht herangezogen werden, wenn ein niedrigerer marktüblicher Wert für vergleichbare Darlehen feststeht.
IX.
Geldwerter Vorteil
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.06.2024 - VIII R 32/20
Leitsätze:
1. Es können nur solche vom Arbeitnehmer getragenen Aufwendungen den geldwerten Vorteil aus der Überlassung des Fahrzeugs als Einzelkosten mindern, die bei einer (hypothetischen) Kostentragung durch den Arbeitgeber Bestandteil dieses Vorteils und somit von der Abgeltungswirkung der 1 %-Regelung erfasst wären.
2. Prozesszinsen (§ 236 der Abgabenordnung) sind steuerbare und steuerpflichtige Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes.
X.
Haftungsquote bei Kollision PKW / Radfahrer
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.11.2024 – 7 U 90/23
Leitsatz:
1. Ein erwachsener Fahrradfahrer, der verbotswidrig mit 10 – 27,5 km/h auf einem Fußweg fährt, muss sich als Geschädigter ein erhebliches unfallursächliches Verschulden von 75 % entgegenhalten lassen, wenn er eine Straße über den abgesenkten Bordstein überquert, ohne seiner Wartepflicht nachzukommen.
2. Dem rechts abbiegenden Autofahrer, der mit dem verbotswidrig den parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg nutzenden Radfahrer kollidiert, kann kein kausaler Verstoß gegen § 8 Abs.1 StVO oder § 9 Abs. 1 S.4 und Abs. 3 S.1 StVO angelastet werden. Von diesen Regelungen wird nur der berechtigte nachfolgende Verkehr geschützt. Der Geschädigte kann für sich den besonderen Schutz aus den besonderen Abbiege- und Vorfahrtsregelungen nicht in Anspruch nehmen, wenn er als Radfahrer verbotswidrig einen parallel zur Fahrbahn liegenden Gehweg befahren hat.
3. Dem rechts abbiegenden Autofahrer kann aber ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot nach § 1 Abs. 2 StVO angelastet werden, wenn er bei gehöriger Sorgfalt den Radfahrer rechtzeitig hätte erkennen und die Kollision vermeiden können. Diese Pflicht beinhaltet, sich bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unfallverhütend zu verhalten.
4. Rechtsabbiegende Autofahrer müssen damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Straße, in die eingebogen werden soll, in verkehrswidriger Weise queren (hier Radfahrer auf einem Gehweg in Schulhofnähe).
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
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