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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Informationspflichten eines Anlagevermittlers
BGH, Urteil vom 19.09.2024 – III ZR 299/23
a) Ein Anlagevermittler genügt seiner Pflicht zur Information über die Bonität des Emittenten einer Kapitalanlage jedenfalls gegenüber einem geschäftserfahrenen Anlageinteressenten im Normalfall dadurch, dass er diesem eine im Anlagezeitpunkt aktuelle Bewertung einer Rating-Agentur mitteilt. Auf die Richtigkeit dieses Ratings darf er sich grundsätzlich verlassen. Zu weitergehenden Ermittlungen ist er nur verpflichtet, soweit er konkrete Anhaltspunkte für eine von dem Rating in negativer Hinsicht abweichende Bewertung hat.
b) Handelt es sich bei dem Anlageinteressenten um eine Gemeinde mit einer eigenen Kämmerei, darf der Anlagevermittler davon ausgehen, dass den dort für die Anlageentscheidung verantwortlichen Personen die verschiedenen Rating-Grade und ihre Bedeutung geläufig sind.
II.
Gebot des sichersten Weges bei drohender Verjährung
BGH, Urteil vom 19.09.2024 – IX ZR 130/23
Nach dem für Verjährungsfragen maßgeblichen "Gebot des sichersten Weges" hat der Rechtsanwalt bei einer unklaren Rechtslage, ob ein triftiger Grund vorliegt, das Verfahren nicht zu betreiben, im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Anspruchs des Mandanten sicher verhindert
III.
Grob fahrlässiger Verstoß eines Arbeitnehmers gegen Sicherheitsanweisungen als wichtiger Grund einer Kündigung
LAG Niedersachsen, Urteil vom 29.07.2024 – 4 Sa 531/23
1. Ein grob fahrlässiger Verstoß gegen Sicherheitsanweisungen ist an sich als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
2. Eine an sich mögliche Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Grund, der einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Inhalt entgegensteht, es nicht zugleich ausschließt, den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz oder zu anderen Bedingungen weiterzubeschäftigen. Die anderweitige Beschäftigung muss dem Arbeitgeber nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein. Hierbei ist in der Regel darauf abzustellen, ob ein Kündigungsgrund arbeitsplatzbezogen ist. Bei verhaltensbedingten Gründen, die arbeitsplatzunabhängig sind, ist eine Versetzung regelmäßig kein geeignetes Mittel im Verhältnis zur Kündigung.
IV.
Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens
BGH, Urteil vom 09.07.2024 – KZR 98/20
Für die Darlegung eines kartellbedingten Preishöhenschadens genügt es, wenn der Kläger alle greifbaren Anhaltspunkte für die nach § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung vorträgt, zu deren Darlegung er ohne weiteres in der Lage ist. Die Vorlage einer Vergleichsmarktanalyse kann von ihm nicht verlangt werden, vielmehr können sich Anhaltspunkte je nach den Umständen des Einzelfalls auch aus sonstigen Indizien ergeben, die geeignet sind, auf einen erheblichen Schaden zu schließen.
V.
Steuerberaterhaftung wegen unterlassenen Hinweis auf Fehler des Finanzamtes mit Folgewirkung
OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.10.2024 – 17 U 4/24
1. Es stellt eine Pflichtverletzung eines Steuerberaters dar, wenn dieser nicht den Mandanten auf einen von ihm erkannten Fehler des Finanzamts hinweist, bei dem das Risiko nachteiliger Folgewirkungen für den Mandanten besteht. So liegt es bei einer Falschanwendung des § 34 EStG durch das Finanzamt, weil und soweit der auf diese Weise gemäß § 34 Abs. 3 EStG erhaltene Steuervorteil vom Steuerpflichtigen „nur einmal im Leben“ in Anspruch genommen werden kann.
2. Eine die Verjährung hemmende Eingehung eines Stillhalteabkommens im Sinne des § 205 BGB kann auch dadurch stillschweigend erfolgt sein, dass Mandant und Steuerberater verabreden, vor weiteren Schritten und insbesondere einer Inanspruchnahme des Steuerberaters zunächst den Finanzrechtsweg zu beschreiten und das dortige Ergebnis abzuwarten.
VI.
Vergütungspflicht der Arbeitgeberin für angeblich von einer Mitarbeiterin in der ambulanten Pflege aufgewendete Zeiten zur häuslichen Durchführung von Corona-Tests
LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.09.2024 – 14 Sa 348/23
1. Die Zeiten für die Durchführung von Corona-Selbsttests durch den Arbeitnehmer eines ambulanten Pflegedienstes sind nicht als vergütungsfähige Arbeitszeiten nach dem § 611a Abs. 2 BGB anzusehen.
2. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer beim Corona-Selbsttest nicht aufgrund seines arbeitsvertraglichen Weisungsrechts Tätigkeiten abverlangt, die als "Arbeit" anzusehen sind, sondern er ist staatlichen Vorgaben gefolgt.
VII.
Freigiebige Zuwendungen unter Gesellschaftern
BFH, Urteil vom 19.06.2024 – II R 41/21
Haben Gesellschafter einer GmbH wirksam vereinbart, dass Leistungen in die Kapitalrücklage gesellschafterbezogen zugeordnet werden, wird jedoch die Kapitalrücklage im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abweichend hiervon allen Gesellschaftern entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugerechnet, kann der Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich durch den Gesellschafter, der die Leistungen erbracht hat, eine freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter darstellen.
VIII.
Würdige Gestaltung von Grabmälern auf einem Friedhof
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 07.10.2024 – 1 S 800/24
1. Das Recht auf individuelle Grabgestaltung unterliegt den Beschränkungen, die sich aus dem Gemeinschaftscharakter des Friedhofs ergeben. Hierbei sind auch die Grundrechte anderer Friedhofsnutzer zu beachten.
2. Der Friedhofsträger hat Vorsorge zu treffen, dass die verfassungsimmanenten Schranken - das sind auch die Grundrechte anderer - nicht überschritten werden.
3. Der Friedhofszweck des ungestörten Totengedenkens und der Würde des Friedhofs ist auch Ausdruck grundrechtlicher Positionen Dritter, die im Wege der praktischen Konkordanz im Rahmen der Religions- und Meinungsfreiheit der Grabnutzungsberechtigten Berücksichtigung finden können.
IX.
Beweislast für Übergabe unbeschädigtes Fahrzeug
LG Münster, Urteil vom 11.10.2024 – 10 O 52/24
1. Der Vermieter eines Fahrzeugs trägt nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Beweislast dafür, dass das Fahrzeug vor der Übernahme durch den Mieter unbeschädigt war.
2. Regelungen im Mietvertrag über das Fahrzeug und seinem Zustand kann keine Beweis(last)relevanz zukommen. Insbesondere kann eine solche Regelung nicht zu einer Beweislastumkehr führen, weil ansonsten ein Verstoß gegen § 309 Nr. 12 BGB vorliegen würde. Es gibt keine Beweiserleichterungen für den Vermieter.
X.
Wirksamkeit Probezeitkündigung - schwerbehinderter Arbeitnehmer - Präventionsverfahren
LAG Köln, Urteil vom 12.09.2024 – 6 SLa 76/24
1. Die Pflicht des Arbeitgebers aus § 167 Abs. 1 SGB IX bei aufkommenden Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis mit einem schwerbehinderten Menschen ein Präventionsverfahren durchzuführen, ist nicht auf den Zeitraum nach Ablauf der Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG beschränkt (entgegen BAG v. 21.04.206 - 8 AZR 402/14). Die Pflicht besteht also auch schon in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses.
2. Wenn das Präventionsverfahren nicht durchgeführt wird, kann dies gemäß § 22 AGG die Vermutung begründen, dass eine Kündigung wegen der Behinderung ausgesprochen wurde und damit die Vermutung, dass die Kündigung wegen des Diskriminierungsverbots in § 164 Abs. 2 SGB IX in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.
3. Wegen der spezifischen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der "Probezeit" zum Abschluss zu bringen, gilt für die Widerlegung der Vermutung ein abgesenktes Maß der Darlegungs- und Beweislast.
4. Im konkreten Fall war die Vermutung als widerlegt zu betrachten, weil (unstreitige) Tatsachen vorlagen, die gegen die Annahme sprachen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung (zumindest auch) wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
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