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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart




I.
abgestufte Darlegungslast; Arbeitszeitbetrug; falsche Dokumentation; abgestufte Darlegungs- und Beweislast; Interessenabwägung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urt. v. 20.02.2024, Az.: 9 Sa 577/23

Allein der Umstand, dass eine Arbeitnehmerin nach Beendigung einer Einsatzfahrt später ausstempelt als andere Teammitglieder, begründet noch keinen hinreichenden Verdacht eines Arbeitszeitbetruges, wenn unstreitig Nacharbeiten zu erledigen sind, die auch von einem Teammitglied allein erledigt werden können. Auch der Vergleich mit den Arbeitszeiten anderer Teams begründet in diesen Fällen allein keinen hinreichenden Verdacht eines Arbeitszeitbetruges. Der Arbeitgeber hat vielmehr im Wege der abgestuften Darlegungs- und Beweislast weitere belastende Umstände darzulegen. Ein in einer Anhörung abgegebenes - streitiges - Geständnis rechtfertigt allein nicht den Vorwurf eines Arbeitszeitbetruges, wenn im Prozess konkret vorgetragen wird, welche Arbeiten in dem - streitigen - Zeitraum geleistet wurden. Der im Kündigungsschutzprozess darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeber muss die behaupteten Arbeiten widerlegen.

II.
Knüpfung der Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie durch den Arbeitgeber an weitere Bedingungen; Abhängigkeit der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie bzw. eines Inflationsbonus von der Zugehörigkeit der bzw. des Beschäftigten zur "active workforce"
Landesarbeitsgericht Niedersachsen Urt. v. 21.02.2024, Az.: 8 Sa 564/23

1.Die im Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferung über das Erdgasnetz in § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes beschlossene Steuerfreiheit der Inflationsausgleichsprämie sieht keine Regelung vor, dass die Prämie an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgezahlt werden muss.

2.Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an weitere Bedingungen zu knüpfen.

3.Es verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Arbeitgeber zur weiteren Bedingung der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie bzw. eines Inflationsbonus macht, dass der bzw. die Beschäftigte Teil seiner "active workforce" ist. Es ist nicht sachwidrig, eine Sonderleistung nur denjenigen Beschäftigten zukommen zu lassen, von denen sich der Arbeitgeber auch in Zukunft Arbeitsleistung erwartet bzw. erhofft, um hierfür einen Anreiz zu setzen.

III.
Dokumentation der erforderlichen Betriebsratsarbeit im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung als Arbeitszeit; Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschl. v. 28.02.2024, Az.: 13 TaBV 40/23

1.Anstelle der Arbeitspflicht tritt bei einem freigestellten Betriebsratsmitglied die Verpflichtung, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, erforderliche Betriebsratsarbeit zu verrichten, bzw. anwesend zu sein um sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (vgl. BAG 10.07.2013 7 ABR 22/12, Rn. 20, juris). Mithin darf es grundsätzlich auch nur solche Zeiten im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung als Arbeitszeit dokumentieren. Entsprechendes gilt für die Zeiten, in denen das Betriebsratsmitglied aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses außerhalb des Betriebs an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG tatsächlich teilnimmt oder sich hierfür bereitgehalten hat.

2.Die Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, obliegt auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Ihm steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Es darf die Frage der Erforderlichkeit allerdings nicht allein nach seinem subjektiven Ermessen beantworten, sondern muss die Interessen des Betriebs einerseits und des Betriebsrats und der Belegschaft andererseits gegeneinander abwägen.

3.Mit dem Beschluss zur Entsendung zu einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG, für welche der Arbeitgeber die Kosten einschließlich der Reise, der Unterbringung und der Verpflegung übernimmt, konkretisiert der Betriebsrat die dem entsandten Mitglied obliegende Betriebsratstätigkeit für den fraglichen Zeitraum. Die Teilnahme an der Veranstaltung hat für das entsandte Betriebsratsmitglied damit grundsätzlich Vorrang vor anderen Betriebsratsaufgaben. Für ein Verlassen der Veranstaltung und eine Verrichtung anderer Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebes und außerhalb des Veranstaltungsortes bedarf es gewichtiger Gründe.

4.Gibt das auf eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung i.S.v. § 37 Abs. 6 und Abs. 7 BetrVG entsandte Betriebsratsmitglied nachträglich im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung bewusst Zeiten als Arbeitszeit an, von denen es weiß, dass es weder an der Schulungsveranstaltung teilgenommen hat, noch andere erforderliche Betriebsratstätigkeiten verrichtet hat, um auf diese Weise eine Amtspflichtverletzung vor dem Arbeitgeber zu verheimlichen und eine ihm nicht zustehende Vergütung bzw. Zeitgutschrift zu erhalten, kann die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin nach § 103 BetrVG zu ersetzen sein.

IV.
Auslegung einer Versetzungsklausel - Gleichbehandlungsgrundsatz - Entgeltgleichbehandlung nach dem EntgTranspG
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2024 - 4 Sa 26/23

Steht fest, dass ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin im Hinblick auf einen oder mehrere Vergütungsbestandteile niedriger vergütet wurde als diejenige Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts, die eine gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, muss die Arbeitgeberin darlegen und beweisen, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin geführt haben.

Beruft sich die Arbeitgeberin darauf, dass die Personen aus der Vergleichsgruppe eine größere Berufserfahrung, eine längere Betriebszugehörigkeit und/oder eine höhere Arbeitsqualität aufwiesen, muss sie darlegen, wie sie diese Kriterien im Einzelnen bewertet und zueinander gewichtet hat. Gelingen ihr die entsprechende Darlegung und gegebenenfalls der entsprechende Beweis nicht, steht dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin eine höhere Vergütung nach Maßgabe des Entgeltgleichheitsgesetzes zu.

V.
Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung; Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses; Keine Auswirkungen der DSGVO auf die in Papierform geführte Personalakte
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urt. v. 04.05.2021, Az.: 11 Sa 1180/20

1.Es wird an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts festgehalten, wonach der Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht besteht

2.Datenschutzrechtliche Änderungen im Zusammenhang mit der DSGVO führen jedenfalls bei in Papierform geführten Personalakte zu keiner Änderung der Rechtslage (entgegen LAG Sachsen-Anhalt vom 23.11.2018, 5 Sa 7/17)

Redaktioneller Leitsatz:

Die Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung setzt voraus, dass Tatsachen vorzutragen und ggfs. zu beweisen sind, aus denen sich Schlussfolgerungen auf eine inhaltliche Unrichtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ziehen lassen. Bloße subjektiv gefärbte Vermutungen reichen nicht aus.

VI.
Kündigung und Annahmeverzug bei unberechtigter teilweiser Arbeitsverweigerung – Direktionsrecht
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.04.2024 - 12 Sa 747/23

Amtlicher Leitsatz:

1. Auch die teilweise unberechtigte und beharrliche Arbeitsverweigerung - hier an einer von vier zu bedienenden Maschinen - ist an sich ein Grund für eine fristlose als auch für eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung. Die Interessenabwägung führte im konkreten Fall zur Unwirksamkeit der fristlosen und zur Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung.

2. Verweigert der Kläger unberechtigt einen Teil der Arbeitsleistung - hier an einer von vier zu bedienenden Maschinen -, steht ihm kein Anspruch auf Annahmeverzug zu. Es fehlt am erforderlichen Leistungswillen bezogen auf die durch das Direktionsrecht näher bestimmte Tätigkeit. Gemäß § 266 BGB ist der Kläger weder zu einer Teilleistung berechtigt, noch muss der Arbeitgeber sich darauf einlassen. Der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung entfällt vollständig.

3. Zur Reichweite des Direktionsrechts der Arbeitgeberin, wenn vertraglich eine Tätigkeit gemäß der Entgeltgruppe 9 ERA NRW geschuldet ist und der Kläger nur zu einer solchen Tätigkeit verpflichtet ist.

VII.
Übergang eines Bereicherungsanspruchs auf den Sozialleistungsträger
BGH, Urteil vom 05.06.2024, Az: VIII ZR 150/23

Bezieht ein Wohnraummieter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II, geht ein auf Rückerstattung überzahlter Miete gerichteter Bereicherungsanspruch gegen den Vermieter unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den Sozialleistungsträger über.

VIII.
Wirksamkeit Gesellschafterbeschlüsse
BGH, Urteil vom 16.07.2024 – II ZR 71/23

1. Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH, die gegen die in der Satzung festgelegte, nicht auf zwingenden gesetzlichen Vorschriften beruhende Kompetenzverteilung verstoßen, sind lediglich anfechtbar.

2. Die Abberufung eines Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung ist keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung.

IX.
Sachliche Zuständigkeit für Klage gegen den Vermieter von Wohnraum wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten
LG Bayern, Beschluss vom 18.06.2024 – 101 AR 80/24 e

Für Rechtsstreitigkeiten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, welche die beklagte Partei in ihrer Eigenschaft als Vermieterin von Wohnraum treffen, sind die Amtsgerichte sachlich zuständig; diese Zuständigkeit ist ausschließlich.

X.
Nutzungen Vorerbschaft
BGH, Urteil vom 26.06.2024 – IV ZR 288/22

1. Die Nutzungen der Vorerbschaft, wie z.B. Mieteinnahmen, gebühren gemäß § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich dem Vorerben, und zwar auch dem befreiten Vorerben, und fließen ihm als freies Vermögen zu (Festhaltung an Senatsurteil vom 29. Juni 1983 - IVa ZR 57/82, NJW 1983, 2874 [juris Rn. 15]).

2. Bestand eine Gütergemeinschaft zwischen dem Erblasser und dem Vorerben, kann letzterer über ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück ohne Zustimmung des Nacherben verfügen; § 2113 BGB findet insoweit keine Anwendung (Fortsetzung des Beschlusses vom 15. März 2007 - V ZB 145/06, BGHZ 171, 350 Rn. 6).

3. Auch bei einer wirksamen Verfügung des Vorerben kann dem Nacherben nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Herausgabepflicht nach § 2130 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehen, wenn der Vorerbe seine Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung gemäß § 2120 Satz 1 BGB verletzt hat. Der Vorerbe trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Verfügung zur ordnungsmäßigen Verwaltung erforderlich war.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Michael Henn
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