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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Schadenersatz - verspätet erfolgte Zielvorgabe
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 6. Februar 2024 – 4 Sa 390/23
1. Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.
2. Eine Anreizfunktion wird nicht per se dadurch ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betrifft.
II.
Befreiung von § 181 BGB
OLG Hamm, Urteil vom 11. Januar 2024 – I-18 U 123/21
1. "Sind die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG im Verhältnis zur KG und der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH im Verhältnis zur GmbH jeweils von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, bedeutet dies nicht ohne Weiteres eine Befreiung des Geschäftsführers im Verhältnis zur KG.
2. Der Geschäftsführer kann sich in einem solchen Fall grundsätzlich auch nicht selbst im Namen der KG von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien, um ein einzelnes Rechtsgeschäft im Namen der KG mit sich selbst abschließen zu können."
III.
Gebrauchtwagenkaufvertrag
OLG Stuttgart, Urteil vom 29. Februar 2024 – 24 U 1424/22
1. Die in einem Standard-Formularvertrag zwischen nicht gewerblich handelnden Parteien eines Gebrauchtwagenkaufvertrags verwendete Klausel, wonach Ansprüche aus Sachmängelhaftung gegen Dritte an den Käufer abgetreten werden, führt nicht zum Verlust deliktischer Ansprüche des Verkäufers gegen den Dritten.
2. Der Vorwurf, die Klagepartei in einem "Dieselfall" habe ihre Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 2, Satz 1, Fall 2 BGB) verletzt, weil sie das Fahrzeug unter Wert verkauft habe, ist nur dann begründet, wenn eine Unterschreitung des Wertes gegeben und für einen privaten Verkäufer erkennbar war, was der hierfür primär belastete Hersteller darzulegen hat.
IV.
Gefährdungshaftung bei Vorbeifahrt an stehendem Fahrzeug
LG Saarbrücken, Urteil vom 15. Februar 2024 – 13 S 28/23
a) Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.
b) Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist die Haftung des Aussteigenden auf die Betriebsgefahr beschränkt, wenn die Fahrerin des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür zu sehen ist, ohne dass sich die Unfallgegnerin besonders rücksichtslos verhalten hat (siehe zur dieser Abgrenzung das Urteil der Kammer vom 10. November 2023 - 13 S 8/23).
V.
Internationale Zuständigkeit Nachlassgericht
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Februar 2024 – 14 W 87/23
1. Deutsche Nachlassgerichte sind für ein Erbscheinsverfahren international gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. a) EuErbVO zuständig, wenn der Erblasser, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Kolumbien hatte und sich Nachlassvermögen in Deutschland befindet.
2. Örtlich zuständig ist gemäß § 47 Nr. 2 IntErbRVG in Verbindung mit § 343 Abs. 2 FamFG dasjenige Nachlassgericht, in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.
3. Auf den Erbfall eines Erblassers mit deutscher Staatsangehörigkeit und letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Kolumbien ist gemäß der Rechtswahlfiktion in Art. 83 Abs. 4 EuErbVO deutsches Erbrecht anzuwenden, wenn der Erblasser vor dem 17. August 2015 ein Testament errichtet hatte und deutsches Recht nach Art. 22 EuErbVO hätte wählen können.
VI.
Schadensersatz bei Verletzung einer Hauptpflicht aus Lohnbuchhaltungsmandat
BGH, Urteil vom 8. Februar 2024 – IX ZR 137/22
1. Das Lohnbuchhaltungsmandat umfasst keine Pflicht, die Frage der Sozialversicherungspflicht eigenständig zu klären.
2. Für die der Berechnung der Abzugsbeträge vorgelagerte Frage der Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit eines Mitarbeiters des Mandanten hat der Lohnbuchhalter nach einer verbindlichen Vorgabe durch den Auftraggeber zu verfahren. Fehlt eine solche verbindliche Vorgabe und ist die statusrechtliche Einordnung des Mitarbeiters weder als anderweitig geklärt noch als zweifelsfrei anzusehen, hat der Lohnbuchhalter auf eine Klärung der Statusfrage durch den Auftraggeber hinzuwirken (Fortentwicklung von BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - IX ZR 246/02 und Urteil vom 23. September 2004 - IX ZR 148/03).
3. Hat der Lohnbuchhalter auf eine Klärung der Statusfrage durch den Mandanten hinzuwirken, muss er dem Mandanten die Möglichkeit einer rechtssicheren Klärung aufzeigen, etwa durch Einholung anwaltlichen Rats oder durch Klärung der Statusfrage im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV oder eines Verfahrens vor den Einzugsstellen der Krankenkassen nach § 28h Abs. 2 SGB IV, und ihn um Entscheidung zum weiteren Vorgehen und zur statusrechtlichen Behandlung des Mitarbeiters im Rahmen der Lohnbuchhaltung ersuchen.
VII.
WEG-Beschlüsse während Corona
BGH, Urteil vom 8. März 2024 – V ZR 80/23
Während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sind nicht deshalb nichtig, weil die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten.
VIII.
Auskunft über Mietverhältnis mit Vormieter
LG Berlin II, Urteil vom 8. Februar 2024 – 67 S 177/23
1. Verlangt der Mieter gemäß § 556g Abs. 3 Satz 1 BGB Auskunft über die Voraussetzungen des § 556e Abs. 1 BGB, umfasst die Auskunftspflicht des Vermieters das Datum des Vertragsschlusses mit dem Vormieter, den vereinbarte Beginn und das tatsächliche Ende des Vormietverhältnisses sowie die Angabe sämtlicher im Vormietverhältnis vereinbarter oder einseitig geänderter Mieten (aufgegliedert nach Grundmiete und Nebenkosten(-vorauszahlungen)), mit Ausnahme der Mieten, die mit dem Vormieter innerhalb des letzten Jahres vor Beendigung des Mietverhältnisses vereinbart worden sind.
2. § 556g Abs. 3 BGB verpflichtet den Vermieter weder zur Vorlage von Belegen noch zur Versicherung an Eides Statt.
3. Zur Durchbrechung des Grundsatzes des Vorrangs der Zulässigkeits- vor der
IX.
Abschleppen eines Fahrzeugs, dass auf ausschließlich für Carsharing-Fahrzeug bestimmter Parkfläche geparkt ist
VG Düsseldorf, Urteil vom 20. Februar 2024 – 14 K 491/23
1. Benutzer von Carsharing-Fahrzeugen müssen darauf vertrauen können, dass ausdrücklich den Carsharing-Fahrzeugen vorbehaltene Parkflächen frei bleiben und benutzt werden können.
2. Daher können auf einer solchen Parkfläche abgestellte nicht berechtigte Fahrzeuge auch ohne konkrete Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer und ohne Wartezeit abgeschleppt werden.
X.
Schwerbehinderter Bewerber - Vorstellungsgespräch - Kirche
BAG, Urteil vom 25. Januar 2024 – 8 AZR 318/22
Eine kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht nach § 165 Satz 3 SGB IX zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet. Sie ist kein öffentlicher Arbeitgeber.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
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Tel.: 0711/ 30 58 93-0Fax: 0711/ 30 58 93-11
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