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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Stuttgart


I.
Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei betriebsbedingter Kündigung in der
Insolvenz
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2023 – 6 AZR 56/23
Ist eine Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG geplant und schließen der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, wird nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung des in der Namensliste aufgeführten Arbeitnehmers durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.
Der Kläger war seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin, einem Unternehmen der Herstellung und des Vertriebs von Spezialprofilen aus Stahl und Stahlerzeugnissen mit ca. 400 Arbeitnehmern, tätig. Der beklagte Insolvenzverwalter schloss vor dem Hintergrund einer geplanten Betriebsstilllegung mit dem bei der Schuldnerin gebildeten Betriebsrat am 29. Juni 2020 einen Interessenausgleich mit drei verschiedenen, insgesamt sämtliche Arbeitnehmer aufführenden Namenslisten. Der Kläger war auf der zweiten Liste namentlich genannt. Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis des Klägers betriebsbedingt mit Schreiben vom 29. Juni 2020 zum 31. Mai 2021 und wegen einer behaupteten Schwerbehinderung vorsorglich ein weiteres Mal mit Schreiben vom 20. August 2020 zum selben Kündigungstermin. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigungen als unwirksam angesehen.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Kündigung vom 20. August 2020 hat das Arbeitsverhältnis des Klägers, der rechtskräftig festgestellt keinen besonderen Kündigungsschutz infolge einer Schwerbehinderung genießt, wirksam zum 31. Mai 2021 beendet. Die Kündigung ist jedenfalls aufgrund der Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, wirksam. Der Beklagte hat – entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts – hinreichend dargelegt, dass die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung iSd. § 111 BetrVG gem. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO geplant war. Die diesbezügliche Vermutungswirkung hat der Kläger nicht widerlegt. Auf die Wirksamkeit der zum selben Beendigungstermin ausgesprochenen Kündigung vom 29. Juni 2020 und die im Lauf des Verfahrens von den Parteien erörterten prozessualen Probleme kam es für die Entscheidung des Senats daher nicht an.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/vermutungswirkung-des-%c2%a7-125-abs-1-nr-1-inso-bei-betriebsbedingter- kuendigung-in-der-insolvenz/
II.
Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23
Ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, kann sich gegen eine dies zum Anlass nehmende außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.
Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an. Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 07/08-2023
aufgenommen. Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt.
Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise ua. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Nachdem die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos.
Beide Vorinstanzen haben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers betreffend der ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Das wiederum ist abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe. Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das Bundesarbeitsgericht hat das Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/kuendigung-wegen-aeusserungen-in-einer-chatgruppe/
III.
Vergütung - Betriebsratsvorsitzender - Benachteiligungsverbot - Begünstigungsverbot -
Verwirkung - Entbehrlichkeit der Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes bei bezifferten Zahlungsanträgen
Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 7.3.2023, 7 Ca 139/22 – veröffentlicht am 14.07.2023
1. Einzelfallentscheidung zur Frage der angemessenen Vergütung eines Betriebsratsvorsitzenden
2.Soweit ein Betriebsratsmitglied Vergütungsansprüche mit dem Argument geltend macht, diese hätte er auf einer ihm angebotenen, aber von ihm ausgeschlagenen Stelle erzielt, setzt dies jedenfalls voraus, dass sämtliche Voraussetzungen zum Abschluss eines entsprechenden Arbeitsvertrages vorliegen, die Bekleidung der Stelle also ausschließlich noch vom Willen des Betriebsratsmitglieds abhängt. Dies ist nicht der Fall, wenn zum Zeitpunkt der Ausschlagung der Stelle die für den Abschluss des Arbeitsvertrages erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats fehlt.
3. Auf Stellenangebote des Arbeitgebers, die dem Betriebsratsmitglied allein aufgrund seines Betriebsratsamtes in Aussicht gestellt wurden, kann sich das Betriebsratsmitglied zur Begründung von Vergütungsansprüchen nach § 78 Satz 2 BetrVG nicht berufen.
4. Auch eine jahrelange Zahlungspraxis kann keinen Vertrauenstatbestand für Zahlungen für die Zukunft begründen, wenn diese Zahlungen gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstoßen.
5. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes nach § 61 Abs. 1 ArbGG ist hinsichtlich bezifferter Zahlungsanträge im Regelfall nicht erforderlich.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2023&Seite=1&nr=38 947&pos=10&anz=20
IV.
Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin betreffend Neueinstellung zur Besetzung einer Teilzeitstelle - verweigerte Zustimmung des Betriebsrats wegen Nichtberücksichtigung

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 07/08-2023
der Aufstockungswünsche anderer Teilzeitbeschäftigter - Dringlichkeit der vorläufigen Durchführung der personellen Maßnahme - eingeschränkter Prüfungsmaßstab der Offensichtlichkeit
Arbeitsgericht Mannheim, Beschluss vom 28.6.2023, 2 BV 2/23 – veröffentlicht am 15.08.2023
Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin betreffend Neueinstellung zur Besetzung einer Teilzeitstelle - verweigerte Zustimmung des Betriebsrats wegen Nichtberücksichtigung der Aufstockungswünsche anderer Teilzeitbeschäftigter - Dringlichkeit der vorläufigen Durchführung der personellen Maßnahme - eingeschränkter Prüfungsmaßstab der Offensichtlichkeit
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2023&Seite=0&nr=39 030&pos=1&anz=20
V.
Übermittlung einer Berufungsbegründung im elektronischen Rechtsverkehr - besonderes
elektronisches Anwaltspostfach oder qualifizierte elektronische Signatur - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - anwaltliche Kontrollpflichten in Bezug auf Angaben zum Übermittlungsweg und zum Signaturniveau im Prüfprotokoll
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.8.2023, 10 Sa 24/23 – veröffentlicht am 24.08.2023
Übermittlung einer Berufungsbegründung im elektronischen Rechtsverkehr - besonderes elektronisches Anwaltspostfach oder qualifizierte elektronische Signatur - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - anwaltliche Kontrollpflichten in Bezug auf Angaben zum Übermittlungsweg und zum Signaturniveau im Prüfprotokoll
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2023&Seite=0&nr=39 050&pos=0&anz=20
VI.
Betriebsabteilung; betriebsbedingte Kündigung; Betriebsrat; Sonderkündigungsschutz;
Ordentliche Kündigung eine Betriebsrätin in einer Matrix Struktur
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24.07.2023, Az.: 15 Sa 906/22
1. Eine Betriebsabteilung iSv. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehe und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt.
2. Für die Annahme einer Betriebsabteilung des Vertragsarbeitgebers reicht es bei der Beschäftigung in einer Matrix-Struktur nicht bereits aus, dass nur eine einzelne Arbeitnehmerin aus einer betriebsübergreifenden Organisationseinheit im Betrieb des Vertragsarbeitgebers beschäftigt ist.
3. Matrix-Strukturen stellen vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisationen dar, die über das Vorliegen einer Betriebsabteilung nichts aussagen.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/c4c40486-baa2-4946-b189-b321189e1446
VII.
Zwangsvollstreckung eines Weiterbeschäftigungstitels Landesarbeitsgericht Hessen, Beschluss vom 26.05.2023 - 10 Ta 55/23
1. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung eines Weiterbeschäftigungstitels nach § 888 ZPO ist der Einwand der Erfüllung beachtlich.
2. Die Existenz eines Weiterbeschäftigungstitels schließt die Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber nicht aus.
3. Es ist nicht Aufgabe des Zwangsvollstreckungsverfahrens zu prüfen, welche Tätigkeiten dem Arbeitnehmer vertragsgerecht zugewiesen werden können. Im Vollstreckungsverfahren ist zu

VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 07/08-2023
überprüfen, ob der Gläubiger der Verpflichtung aus dem Titel entsprechend beschäftigt wird, nicht aber, worin diese Verpflichtung besteht.
4. Ist die Art der Beschäftigung in dem Titel nur schlagwortartig und relativ unbestimmt bezeichnet, können Unklarheiten, welche zugewiesenen Tätigkeiten noch zu dem maßgeblichen Berufsbild oder der im Titel enthaltenen Funktionsbezeichnung gehören, angesichts des grundsätzlich weit zu bestehenden Weisungsrechts zulasten des Antragstellers gehen.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE230004586/part/L
VIII.
Gebühren Terminvertreter
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2023 - VIII ZB 53/21
a) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen nach Maßgabe des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (hier: 0,65-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3401 VV RVG) fallen für einen Terminsvertreter nur an, wenn dieser von der Prozesspartei selbst oder in deren Namen durch den Prozessbevollmächtigten (Hauptbevollmächtigten) beauftragt worden ist, nicht hingegen, wenn letzterer im eigenen Namen den Auftrag zur Terminsvertretung erteilt hat (Anschluss an BGH, Urteil vom 29. Juni 2000 - I ZR 122/98, NJW 2001, 753 unter II 2 b [zu § 53 BRAGO]; Beschluss vom 13. Juli 2011 - IV ZB 8/11, VersR 2012, 737 Rn. 8).
b) Bei einer Beauftragung des Terminsvertreters durch den Hauptbevollmächtigten im eigenen Namen sind die Kosten des Terminsvertreters auch nicht als Auslagen des Hauptbevollmächtigten im Sinne der Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG in Verbindung mit §§ 675, 670 BGB erstattungsfähig.
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=3da0e6b44fefa770454c49fbc61e55ad&nr=134045&pos=0&anz=1
Mit besten Grüßen Ihr
Michael Henn Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht VDAA – Präsident
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Telefon: (0711) 3058 9320
Telefax: (0711) 3058 9311 Email: info@vdaa.de www.vdaa.de
 
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