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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Pflicht der Ehegatten zur Zustimmung zur Zusammenveranlagung
OLG Bamberg, Beschluss vom 10.01.2023, Az. 2 UF 212/22
1. Aus dem Wesen der Ehe ergibt sich für beide Ehegatten grundsätzlich die Verpflichtung, die finanziellen Lasten des anderen Teils nach Möglichkeit zu vermindern, soweit dies ohne eine Verletzung eigener Interessen möglich ist.
2. Es besteht daher für beide Ehegatten jeweils die Verpflichtung, in eine Zusammenveranlagung einzuwilligen, wenn dadurch die Steuerschuld des anderen Ehegatten verringert, der in Anspruch genommene aber keiner zusätzlichen steuerlichen Belastung ausgesetzt wird. Eine solche Verpflichtung bleibt auch nach der Scheidung als Nachwirkung der Ehe bestehen.
3. Die Ehegatten können die Pflicht zur Zustimmung zur Zusammenveranlagung durch Vereinbarung wirksam abbedingen.
II.
Einreichung einer unrichtigen Gesellschafterliste
BGH, Urteil vom 08.11.2022, Az: II ZR 91/21
Dem Gesellschafter einer GmbH steht kein Anspruch gegen den Geschäftsführer auf Unterlassung der Einreichung einer zu seinen Lasten materiell unrichtigen Gesellschafterliste zum Handelsregister wegen drohender Verletzung organschaftlicher Pflichten zu.
Ein Gesellschafter einer GmbH, der seine Stellung als Geschäftsführer dadurch missbraucht, dass er eine materiell unrichtige Gesellschafterliste zum Handelsregister einreicht, um damit eigennützige Interessen durchzusetzen, verletzt seine gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter.
Gegen den Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH, der unter Verletzung seiner gesellschafterlichen Treuepflicht eine materiell unrichtige Gesellschafterliste einreichen will, steht dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter ein Unterlassungsanspruch zu, den er mit der vorbeugenden Unterlassungsklage geltend machen kann.
III.
Untreue durch überhöhtes Arbeitsentgelt für Betriebsrat
BGH, Urteil vom 10.01.2023, Az: 6 StR 133/22
Der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB kann erfüllt sein, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt.
IV.
Allgemeine Geschäftsbedingungen einer Bank: Inhaltskontrolle für eine Entgeltklausel im Bankverkehr mit Verbrauchern (Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung)
OLG Frankfurt, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 17 U 132/21
1. Auch außerhalb der Informationspflichten des § 493 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BGB besteht als vertragliche Nebenpflicht der Bank ein Auskunftsanspruch des Verbrauchers über die Höhe des im Falle der vorzeitigen Rückführung des Darlehens zu zahlenden Betrages (Vorfälligkeitsentschädigung), ohne dass es tatsächlich zur vorzeitigen Rückführung des Darlehens kommen muss.
2. Eine Klausel in einem Preisverzeichnis einer Bank, die für Allgemein-Darlehensverträge und vor dem 21.03.2016 geschlossene Immobiliardarlehensverträge ein Entgelt für die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung vorsieht, stellt eine unzulässige Preisnebenabrede dar.
V.
Zur Offenlegung des von der GmbH übernommenen Gründungsaufwands im Gesellschaftsvertrag
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. Februar 2023 – 2 Wx 50/22
1. Gemäß § 26 Abs. 2 AktG analog ist es erforderlich, dass der Gründungsaufwand, den die GmbH zu Lasten ihres Nominalkapitals zu tragen hat, im Gesellschaftsvertrag als Gesamtbetrag offengelegt wird. Dabei ist die bloße Bezifferung eines (Gesamt-)Höchstbetrages, bis zu dem die Gesellschaft die Gründungskosten trägt, nicht ausreichend. Vielmehr sind die von der Gesellschaft zu tragenden Kosten als Gesamtbetrag (Endsumme) im Gesellschaftsvertrag auszuweisen, wobei Beträge, die noch nicht genau beziffert werden können, geschätzt werden müssen.
2. Zudem müssen diejenigen Gründungskosten, die die Gesellschaft tragen soll, im Einzelnen aufgeführt und beziffert werden. Ansonsten würde nicht deutlich, um welche Kostenpositionen es sich konkret handelt und es bestünde die Gefahr einer Schmälerung des Haftungskapitals der Gesellschaft durch zweifelhafte Gründungskosten, ohne dass dies transparent wird.
VI.
Zinsanpassung bei Prämiensparverträgen
BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – XI ZR 257/21
1. Bei Prämiensparverträgen, bei denen die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zum 15. Sparjahr steigen, sind im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) für die vorzunehmenden Zinsanpassungen ein langfristiger Referenzzinssatz und die Verhältnismethode maßgebend. Der als Referenz heranzuziehende Marktzinssatz oder die als Referenz heranzuziehende Umlaufrendite ist vom Oberlandesgericht mit sachverständiger Hilfe zu bestimmen und hat widerzuspiegeln, dass es sich bei den Prämiensparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt (Bestätigung der Senatsurteile vom 13. April 2010 - XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 22 f., 26 f., vom 21. Dezember 2010 - XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 22, 25 und vom 6. Oktober 2021 - XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 85, 95 ff.).
2. Zur Verfahrensbeschleunigung kann gemäß § 411a ZPO die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.
VII.
Kostenrisiko bei Anmietung von Räumen in Zeiten von Corona
BGH, Urteil vom 11. Januar 2023 – XII ZR 101/21
1. Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich (im Anschluss an Senatsurteil vom 2. März 2022 - XII ZR 36/21, NJW 2022, 1382).
2. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von bis zu 120 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.
3.Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 2. März 2022 - XII ZR 36/21, NJW 2022, 1382).
4. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. Dafür genügt es nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein.
VIII.
Verhalten beim Passieren eines im Einsatz befindlichen Müllfahrzeugs
OLG Celle, Urteil vom 15. Februar 2023 – 14 U 111/22
1. Beim Vorbeifahren an Müllfahrzeugen im Einsatz muss nicht stets oder in der Regel Schrittgeschwindigkeit oder ein Sicherheitsabstand von 2 m eingehalten werden (a.A. z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juli 2018 - 1 U 117/17, juris); maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, u.a. die örtlichen Gegebenheiten und etwaige Wahrnehmungen des Fahrzeugführers. Die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 13 km/h kann ausreichend sein.
2. Die Privilegierung des § 35 Abs. 6 StVO begründet keine Befreiung vom allgemeinen Rücksichtnahmegebot des § 1 StVO. Ein Müllwerker, der auf der Fahrbahn einen großen, schweren Müllrollcontainer hinter dem Müllfahrzeug hervorschiebt, ohne auf den Verkehr zu achten, verstößt gegen § 1 Abs. 2 StVO.
IX.
Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch den Vermieter
BGH, Urteil vom 25.01.2023, Az: VIII ZR 230/21
a) Wurde ein die Betriebskosten auslösender Dienstleistungsvertrag bereits vor Abschluss des Wohnraummietvertrags geschlossen, kann eine mögliche Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots als Nebenpflicht des Vermieters schon wegen einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestehenden mietvertraglichen Rücksichtnahmepflicht nicht in der Eingehung dieser Verbindlichkeit gesehen werden. Vielmehr kommt eine Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots nur in Betracht, soweit dem Vermieter - im Falle eines nicht angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnisses - eine Korrektur der zu überhöhten Kosten führenden Maßnahme während des Mietverhältnisses - beispielsweise durch Kündigung eines Vertrags mit ungünstigen Bedingungen - möglich und wirtschaftlich zumutbar gewesen wäre und er diese Möglichkeit nicht ergriffen hat (im Anschluss an Senatsurteil vom 28. November 2007 - VIII ZR 243/06 , NJW 2008, 440 Rn. 15).
b) Aus der Einordnung des Wirtschaftlichkeitsgebots als vertragliche Nebenpflicht des Vermieters folgt nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Mieter, der wegen einer solchen Pflichtverletzung Ansprüche erhebt, die Darlegungs- und Beweislast für ein pflichtwidriges Verhalten des Vermieters trägt.
X.
OLG Stuttgart, Urteil vom 16.02.2023, Az.: 2 U 226/21
1. Es gibt im Zivilrecht keinen allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige den berechtigten Teil seiner Ansprüche verliert, der hinsichtlich weitergehender Ansprüche bewusst wahrheitswidrige Angaben macht.
2. Die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen, die nicht nur der Behebung des Unfallschadens, sondern auch eines weiteren Schadens dienen, richtet sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung.
a) Eine Vorteilsanrechnung kommt nicht in Betracht, wenn der Geschädigte die Behebung eines weiteren, nicht durch den Unfall verursachten Schadens unterlässt.
b) Setzt der Geschädigte zeitgleich durch den Unfall verursachte und nicht durch den Unfall verursachte Schäden instand, ist es angemessen, hinsichtlich der allen Reparaturmaßnahmen dienenden Aufwendungen eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen, die sich danach bemisst, wie sich die übrigen Reparaturkosten auf die reparierten Schäden verteilen.
3. Der Geschädigte kann die Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens auch dann ersetzt verlangen, wenn sich das eingeholte Privatgutachten als falsch erweist. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn der Geschädigte schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat und sich das Gutachten deshalb als unbrauchbar erweist. Wenn sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung eines Autohauses bedient, ist es ihm nicht zuzurechnen, wenn das Autohaus die ordnungsgemäße Angabe eines Vorschadens nicht an den Sachverständigen weitergibt oder der Sachverständige diese Information nicht zur Kenntnis nimmt oder unbeachtet lässt.
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Michael Henn
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