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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Stuttgart
I.
Ver.di ist tariffähig
BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 24/21
Mit der Entscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts steht fest, dass die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) tariffähig ist. Damit kann sie Tarifverträge auch in der Pflegebranche abschließen.
Ver.di wurde im Jahr 2001 durch einen Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften gegründet. Sie hat etwa 1,9 Millionen Mitglieder und ist ua. für die Pflegebranche zuständig. Der Antragsteller – ein Arbeitgeberverband für Pflegeeinrichtungen in Deutschland – hat die Feststellung begehrt, dass ver.di in der Pflegebranche nicht tariffähig ist. Ihr fehle in diesem Bereich die erforderliche – durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer vermittelte – Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite. Hilfsweise hat der Antragsteller geltend gemacht, ver.di sei bezogen auf ihren gesamten satzungsmäßigen Organisationsbereich tarifunfähig.
Das in erster Instanz zuständige Landesarbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde des Antragstellers blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Der auf die Feststellung einer teilweisen Tarifunfähigkeit gerichtete Hauptantrag war unzulässig. Die Tariffähigkeit ist die rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen. Diese Fähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich einer Vereinigung einheitlich und unteilbar. Eine teilweise, auf bestimmte Branchen, Regionen, Berufskreise oder Personengruppen beschränkte Tariffähigkeit einer Koalition gibt es nicht. Die Rechtsbeschwerde gegen die Abweisung des Hilfsantrags war unzulässig. Damit steht rechtskräftig fest, dass ver.di tariffähig ist.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/ver-di-ist-tariffaehig/
II.
Einführung elektronischer Zeiterfassung - Initiativrecht des Betriebsrats BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21
Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist.
Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat dieses Beschlussverfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht.
Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022
Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG* ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließt ein – ggfs. mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/einfuehrung-elektronischer-zeiterfassung-initiativrecht-des-betriebsrats/
III.
Zustimmungsersetzungsverfahren - Eingruppierung/Umgruppierung - gewerbliche Tätigkeit
nach § 11 Nr. 1 Manteltarifvertrag Einzelhandel Baden-Württemberg - Begriff der gehobenen Tätigkeit an einer Etagen-, Bereichs-, Regional- bzw. Sammelkasse im Sinne der Gehaltsgruppe III des Entgelttarifvertrages für den Einzelhandel Baden-Württemberg
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6.7.2022, 21 TaBV 4/21
1. Die Tätigkeit eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin in einem sog. Warenserviceteam ist, soweit nicht Verkaufstätigkeiten prägend sind, als gewerbliche Tätigkeit anzusehen, die nach § 11 Nr. 1 Manteltarifvertrag Einzelhandel Baden-Württemberg zu einer Einreihung in die jeweilige Lohngruppe führt.
2. Eine Etagen-, Bereichs-, Regional- bzw. Sammelkasse im Sinne der Beschäftigtengruppe G III des Entgelttarifvertrages für den Einzelhandel Baden-Württemberg liegt nicht allein dann vor, wenn die Kasse eine weitergehende Funktion gegenüber anderen Kassen hat, sondern es ist eine übergeordnete Funktion ("Hierarchie der Kassen") zu fordern, die eine gehobene Tätigkeit zum Ausdruck bringt.
3. Anschluss an den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg – Kammern Mannheim – vom 25. März 2022 (12 TaBV 3/21).
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&Seite=1&nr=38 218&pos=10&anz=36
IV.
Globale vertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages - Ausschlussfrist - Teilnichtigkeit
wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.8.2022, 10 Sa 94/21
1. Findet ein Tarifvertrag auf ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer Globalverweisung im Arbeitsvertrag Anwendung, findet eine Kontrolle der tariflichen Bestimmungen anhand der §§ 305 ff. BGB nicht statt, wenn der Tarifvertrag das Arbeitsverhältnis in seinem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich erfasst (vgl. BAG 7. Juli 2020 - 9 AZR 323/19 - Rn. 21 m.w.N.).
2. Verstößt eine im vertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist gegen § 202 Abs. 1 BGB, ist die Regelung nur insoweit nichtig, als sie mangels ausdrücklicher anderweitiger Regelung auch Ansprüche einbezieht, die durch vorsätzliches Handeln verursacht worden sind. Im Übrigen bleibt sie wirksam (Aufgabe der Rechtsprechung im Urteil v. 31. Mai 2021 - 10 Sa 73/20 - Rn. 96 ff., juris; Anschluss an BAG 23. Januar 2019 - 4 AZR 541/17 - Rn. 41; 27. Oktober 2020 - 9 AZR 531/19 - Rn. 14).
3. Die Ausschlussfrist des § 18.1.2 Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie von Südwürttemberg-Hohenzollern (MTV) erfasst auch Ansprüche, die erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig geworden sind. Die Ausschlussfrist beginnt dann - entgegen dem insofern unvollständigen Wortlaut des § 18.1.2. MTV - nicht bereits mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu laufen, sondern erst mit der Fälligkeit des Anspruchs.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&Seite=0&nr=38 107&pos=1&anz=36
V.
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022 Internationaler Luftverkehrsbetrieb - Betriebsbegriff des § 24 Abs. 2 KSchG
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.8.2022, 2 Sa 16/21
1. Der Betriebsbegriff des § 24 Abs. 2 KSchG beruht auf einer gesetzlichen Fiktion und ist vom Betriebsbegriff des BetrVG entkoppelt. Es kommt auf eine tatsächliche betriebliche Einheit in Organisation und Verfolgung eines arbeitstechnischen Zwecks nicht an. Diese Fiktion hilft auch über die sonst geforderte Betriebsbelegenheit im Inland hinweg.
2. Ein Luftverkehrsbetrieb iSd. § 24 Abs. 2 KSchG bedarf daher auch keiner akzessorischen Anbindung an einen im deutschen Inland belegenen Bodenbetrieb. Die Leitungsmacht kann auch vom Ausland ausgeübt werden. In diesem Fall unterfallen aber nur die Mitarbeiter des Luftverkehrsbetriebs dem deutschen Kündigungsschutzrecht, deren Arbeitsverhältnisse auch dem deutschen Recht unterliegen.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&Seite=0&nr=38 209&pos=2&anz=36
VI.
Tarifvertrag - Betriebsvereinbarung - Regelungssperre - Öffnungsklausel – Schichtzuschlag LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.7.2022, 19 Sa 6/22
1. Eine Betriebsvereinbarung unterfällt der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn sie die Zahlung einer stundenbezogenen und betragsmäßig bezifferten (Spätschicht-) Zulage unter denselben T atbestandsvoraussetzungen vorsieht, unter denen nach dem einschlägigen T arifvertrag ein prozentualer Zuschlag je Arbeitsstunde zu zahlen ist. Die Unzulässigkeit nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erstreckt sich auf Regelungen einer Betriebsvereinbarung, die im Verhältnis zu denen des Tarifvertrages inhaltsgleich oder günstiger sind.
2. § 1.2.1 des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung, wonach der Tarifvertrag die Mindestbedingungen der Arbeitsverhältnisse regelt und ergänzende Bestimmungen durch Betriebsvereinbarung vereinbart werden können, enthält keine allgemeine Öffnungsklausel iSd. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&Seite=0&nr=38 192&pos=4&anz=36
VII.
Streitwert; Willenserklärung; Aufhebungsvertrag mit bezahlter Freistellung und Abfindung LAG Düsseldorf, Beschluss vom 5.7.2022, 4 Ta 204/22
Der Streitwert einer Klage auf Abgabe eines Angebots zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit gleichzeitiger Zusage einer bezahlten Freistellung für sechs Monate sowie einer Abfindungszahlung richtet sich nicht nach § 42 Abs. 2 GKG.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_4_T a_204_22_Beschluss_202 20705.html
VIII.
Eingruppierung, TVöD-NRW, TVöD-VKA, Arbeitsvorgang, einheitlicher Arbeitsvorgang,
Tätigkeit, Gesamttätigkeit, Baumerhaltung, Baumpflege, selbstständig, verantwortlich, tarifliches qualifikationsmerkmal, Kollision von Verbandstarifverträgen auf Bundes- und Landesebene, Spezialität, Baumkontrollen, sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis, rechtserhebliches Ausmaß
LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.7.2022, 7 Sa 661/21
1. Eine Kollision von Verbandstarifverträgen auf Bundes- und Landesebene, die von den gleichen Tarifpartnern abgeschlossen wurden, wird nach dem Grundsatz der Spezialität aufgelöst, daher geht der TVöD-NRW dem TVöD-V (VKA) vor.
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022
2. Das Merkmal "Baumkontrolle" im Sinne der Entgeltgruppe 7 TVöD-NRW erfasst nicht nur solche, die vom Boden aus durchgeführt werden.
3. Für das Erfüllen des Merkmals "Baumkontrolle" im Sinne der Entgeltgruppe 7 TVöD-NRW genügt im Rahmen einer - hier vorliegenden - Gesamttätigkeit ein rechtserhebliches Ausmaß.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_7_Sa_661_21_Urteil_2022071 5.html
IX.
Betriebsübergang, Widerspruchsrecht LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.7.2022, 8 Sa 68/20
Die Monatsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB zum Widerspruch gegen den Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs beginnt nicht nur bei fehlerhafter Information des Arbeitnehmers nicht zu laufen, sondern auch nicht bei unvollständiger. Geht es um die rechtlich schwierig zu beurteilende (Weiter-) Geltung eines Tarifvertrags beim Erwerber und ist dieser Umstand für die Ausübung des Widerspruchsrechts ersichtlich von Bedeutung, müssen der Betriebsveräußerer und/oder der Betriebserwerber sich hierzu ausdrücklich und in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise erklären.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_8_Sa_68_20_Urteil_20220726 .html
X.
Rechtsweg für Zahlungsklage eines abberufenen Geschäftsführers; formwirksame Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses durch einen seitens der Gesellschaftervertreter unterzeichneten Geschäftsführerdienstvertrag; konkludente Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Abberufung; sic-non Fall bei Entgeltfortzahlungsklage
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19.7.2022, 3 Ta 90/22
1. Macht ein ehemaliger Geschäftsführer nach Abberufung bei streitiger (Neu-)Begründung eines Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend und fehlt eine vertragliche Regelung zu einem solchen Anspruch, so dass er allein auf § 3 Abs. 1 EFZG gestützt werden kann, begründet dieser Teil der Klage einen sog. sic-non Fall, in dem allein aufgrund der doppelrelevanten Rechtsansicht des Klägers, im Streitzeitraum Arbeitnehmer gewesen zu sein, insoweit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet ist.
2. Werden neben der Entgeltfortzahlungsklage weitere Ansprüche geltend gemacht, ist für diese gesondert die Rechtswegzuständigkeit zu prüfen, denn sic-non-Fälle können keine Zusammenhangszuständigkeit nach § 2 Abs. 3 ArbGG begründen.
3. Schließen bislang durch einen Arbeitsvertrag verbundene Vertragsparteien einen schriftlichen Geschäftsführerdienstvertrag, wird damit das bisherige Arbeitsverhältnis, selbst wenn es in dem Vertrag keine Erwähnung findet, in der Regel formwirksam konkludent aufgehoben. Das gilt auch, wenn der Geschäftsführerdienstvertrag auf Unternehmensseite durch einen Vertreter der Gesellschafter und nicht durch einen (anderen) Geschäftsführer unterzeichnet wird. Denn insoweit ist von einer Annexvertretungskompetenz der Gesellschafterversammlung und ihrer Vertreter auszugehen (Anschluss an LAG Hamburg vom 19.11.2008 - 4 Ta 20/08).
4. Zwar wandelt sich der Geschäftsführerdienstvertrag dann nach Abberufung als Geschäftsführer nicht automatisch wieder in einen Arbeitsvertrag um. Erklärt jedoch der Vertreter der Gesellschafter, dass man das bisherige Arbeitsverhältnis mit der dort geregelten Tätigkeit, jedoch dem Gehalt aus dem Geschäftsführerdienstvertrag fortsetzen wolle und setzen die verbleibende Geschäftsführung und der abberufene Geschäftsführer dies dann um, indem Letzterer entsprechend weiterbeschäftigt wird, liegt darin eine wirksame konkludente Neubegründung des früheren Arbeitsverhältnisses. Für die hieraus abgeleiteten Ansprüche ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_3_T a_90_22_Beschluss_2022 0719.html
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022
XI.
Außerordentliche Kündigung, grobe Beleidigung eines Vorgesetzten, Vier-Augen-Gespräch, fehlende Vertraulichkeitserwartung, Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrecht
LAG Hamm, Urteil vom 14.7.2022, 8 Sa 365/22
• 1.
Grob ehrverletzende, diffamierende und von erheblicher Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, wenn der Arbeitnehmer nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden.
• 2.
Fehlt es danach an einer begründeten Vertraulichkeitserwartung, steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG der Berücksichtigung dieser Äußerungen als Kündigungsgrund und deren Verwertung im Kündigungsschutzprozess nicht entgegen.
• 3.
In einem Kontext mit dem Arbeitsverhältnis über Vorgesetzte oder Kollegen geäußerte Schmähkritik und Formalbeleidigungen am Arbeitsplatz sind vom Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht umfasst.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2022/8_Sa_365_22_Urteil_20220714.html
XII.
Sozialauswahl anhand einer "Qualifizierungs-Matrix" LAG Hamm, Urteil vom 14.7.2022, 18 Sa 1548/21
• 1.
§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG erkennt nur die Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur als berechtigtes betriebliches Interesse an, nicht aber deren Herstellung, d. h. die Veränderung der bisherigen Personalstruktur.
• 2.
Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern festlegen, die nicht in die Auswahl einbezogen werden sollen. Auch eine Gruppenbildung nach Ausbildung und Qualifikation ist zulässig, da zur Personalstruktur auch die Leistungsstärke der Belegschaft gehört. Erhaltung der Leistungsstärke der Belegschaft bedeutet, dass das Verhältnis der leistungsstärkeren zu den leistungsschwächeren Arbeitnehmern in etwa gleich bleibt. Der Arbeitgeber kann daher z. B. für die Mitarbeiter, die für eine Sozialauswahl in Betracht kommen, eine Leistungsbeurteilung anfertigen lassen, dann Gruppen bilden und aus diesen Gruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer entlassen.
• 3.
Der Arbeitgeber missachtet diese Grundsätze im Kern, wenn er zwar eine Gruppenbildung vornimmt, jedoch davon absieht, aus den gebildeten Qualifizierungsgruppen anteilig gleich viele Arbeitnehmer zu entlassen und die vielmehr die Sozialauswahl auf die Qualifizierungsgruppe beschränkt, in der sich die Arbeitnehmer befinden, die bei der Bewertung ihrer Qualifikation nach Maßgabe der "Qualifizierungs- Matrix" die geringste Punktzahl erreichen und mithin die geringste Qualifikation aufweisen. Dadurch, dass ausschließlich Arbeitnehmer jener Qualifizierungsgruppe entlassen werden, wird im Ergebnis nicht die Personalstruktur erhalten, sondern verbessert. Denn der Arbeitgeber entledigt sich ausschließlich derjenigen Arbeitnehmer, die, den Bewertungsmaßstab der "Qualifizierungs-Matrix" zugrunde gelegt, am wenigsten qualifiziert sind. Das hat notwendigerweise eine Erhöhung der durchschnittlichen Qualifikation zur Folge. An einer solchen Maßnahme bestehe jedoch kein anzuerkennendes betriebliches Interesse. Der Grundgedanke der Sozialauswahl wird geradezu in sein Gegenteil verkehrt, weil für das Ergebnis der Auswahl letztlich nicht mehr soziale Kriterien, sondern ausschließlich die Qualifikation der Arbeitnehmer von Belang ist.
• 4.
Das Vorgehen des Arbeitgebers kann dazu führen, dass die Sozialauswahl als grob fehlerhaft anzusehen ist (im Streitfall bejaht).
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2022/18_Sa_1548_21_Urteil_20220714.html
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022
XIII.
Zustimmungsersetzung, Eingruppierung, Gegenstandwert LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 29.08.2022, 6 Ta 14/22
Die Beteiligten streiten über die Wertfestsetzung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
Die Arbeitgeberin begehrte in einem Zustimmungsersetzungsverfahren die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung von 44 Arbeitnehmern, sämtlich sog. „Mitarbeiter Kundenbetreuung I“, in die Tarifgruppe 6 MTV Banken. Der Betriebsrat hatte die Zustimmung mit der Begründung verweigert, einschlägig sei die Tarifgruppe 8 MTV Banken.
Das Arbeitsgericht hat die Zustimmung antragsgemäß ersetzt. Die Betriebsparteien haben sich mittlerweile darauf verständigt, dass eine Eingruppierung der Mitarbeiter Kundenbetreuung I nach der TG 7 MTV Banken zutreffend ist und dass die entsprechende Eingruppierung rückwirkend zum 01.11.2021 erfolgen soll.
Auf Antrag und nach Anhörung des Beschwerdeführers setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert für das Verfahren auf 48.000,00 EUR fest. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Gegenstandwert sei für die Zustimmungsersetzung zur ersten Eingruppierung in Höhe des Regelwerts des § 23 Abs. 3 RVG festzusetzen, für die weiteren Eingruppierungen auf jeweils 1.000,00 EUR, insgesamt also auf 48.000,00 EUR.
Gegen diesen ihm am 24.01.2022 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 13.02.2022 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Gegenstandswert auf 500.000,00 EUR festzusetzen. Zur Begründung führt er aus, bei Verfahren der vorliegenden Art sei vom 36-fachen Betrag der Differenz zwischen der vom Arbeitgeber beantragten und der vom Betriebsrat für richtig gehaltenen Eingruppierung auszugehen. Ein Abschlag sei nicht vorzunehmen. Die Festsetzung des Hilfswerts sei unangemessen im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers und der betroffenen Arbeitnehmer.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt
Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/B197A451D300F36FC12588AD004F5217/$file/Beschluss-6-T a-14-22-21-02-2022.pdf
XIV.
Zahlungsansprüche, Aufrechnung, Bestimmtheit, Aufrechnungsverbot, Pfändungsschutz, Ausschlussfrist, Verkehrsunfälle
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.08.2022, 6 Sa 145/21
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche.
Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/D4A97AC950A26C0EC12588AD004F5218/$file/Urteil-6-Sa-145-21-02-03-2022.pdf
XV.
Kündigung, Selbstbeurlaubung, Aufrechnung, Aufrechnungsverbot, Pfändungsschutz, Bestimmtheitsgrundsatz
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.08.2022, 6 Sa 226/21
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung, über Zahlung von Vergütung sowie über Erteilung eines Zeugnisses.
Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/1801C16CD6D1733AC12588AD004F5219/$file/Urteil-6-Sa-226-21-30-03-2022.pdf
XVI.
Fortbildung, Fortbildungsvertrag, Auslegung
LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.08.2022, 6 Sa 283/21
Die Parteien streiten über die Zahlung von Fortbildungskosten.
VDAA- Arbeitsrechtsdepesche 09-2022
Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/180B0B7ACD465AEEC12588AD004F521A/$file/Urteil-6-Sa-283-21-02-03-2022.pdf
XVII.
ZPO § 355 Abs. 2, §§ 358, 567
BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZB 46/21
a) Ein Beweisbeschluss ist grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar.
b) Ausnahmsweise ist eine sofortige Beschwerde statthaft, wenn bereits der Beweisbeschluss eine Verletzung von Grundrechten einer Partei zur Folge hätte,
die sich im weiteren Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe. (Fortführung von BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - I ZB 118/07, NJW-RR 2009, 995).
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi- bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=8&nr=130730&pos=260&anz=851
Mit besten Grüßen Ihr
Michael Henn Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht VDAA – Präsident
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