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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Bewerbungen für internationale Friedenseinsätze
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6. April 2022 – 5 AZR 325/21 –
Aufnahme und Verbleib im sog. Expertenpool des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) setzen voraus, dass die Bewerberinnen und Bewerber für internationale Friedenseinsätze die Kriterien des vom ZIF erstellten Anforderungsprofils erfüllen. Hierzu gehört ua. „hervorragende soziale und interkulturelle Kompetenz“. Ist das nicht (mehr) der Fall, besteht kein Anspruch auf Aufnahme bzw. Verbleib im Expertenpool. Die Beurteilung der Tatsachengerichte, eine Bewerberin oder ein Bewerber erfülle nicht bzw. nicht mehr alle Kriterien des Anforderungsprofils ist revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar.
Die Beklagte ist eine bundeseigene gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zu ihren Aufgaben gehört es, internationalen, supranationalen oder ausländischen staatlichen Einrichtungen ziviles Personal für internationale Friedenseinsätze und Wahlbeobachtungen vorzuschlagen. Zu diesem Zweck unterhält sie einen digitalen Expertenpool, der aktuell über 1.500 Profile von – potentiellen – Bewerberinnen und Bewerbern für unterschiedliche Tätigkeitsfelder in internationalen Friedenseinsätzen multilateraler Organisationen wie etwa der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, der OSZE oder der NATO umfasst. Die Klägerin ist Volljuristin und stand als solche bis zum Jahr 2018 in einem Arbeitsverhältnis zu einem Unternehmen. Im April 2009 wurde sie in den Expertenpool der Beklagten aufgenommen und ua. als Kurzzeitwahlbeobachterin in Albanien und als Rechtsberaterin im Kosovo eingesetzt. Im Januar 2018 beendete die Beklagte die Mitgliedschaft der Klägerin im Expertenpool, nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin im Wesentlichen die Feststellung des Fortbestands ihrer Mitgliedschaft im Expertenpool der Beklagten, Zugang zu diesem und die Freischaltung ihres dort hinterlegten Profils.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach eingehender Beweisaufnahme die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg.
Das Landesarbeitsgericht hat sich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Überzeugung gebildet, der Klägerin fehle die nach dem Anforderungsprofil für den Expertenpool verlangte „hervorragende soziale Kompetenz“. Diese Anforderung ist ein sachgerechtes, diskriminierungsfreies und nicht gegen sonstiges höherrangiges Recht verstoßendes Kriterium für eine Tätigkeit in internationalen Friedenseinsätzen und Wahlbeobachtungen. Weil es die Klägerin nicht mehr erfüllt, durfte die Beklagte sie aus dem Expertenpool ausschließen. Einen Anspruch auf die – weitere – „Mitgliedschaft“ im Experten-pool kann die Klägerin weder aus Art. 12 Abs. 1 GG noch aus einer vermeintlichen Monopolstellung der Beklagten herleiten. Ein darauf gestütztes „Recht auf Teilhabe“ käme nur in Betracht, wenn die Klägerin das Anforderungsprofil der Beklagten für den Expertenpool in Gänze erfüllen würde. Das ist indes nicht der Fall. Gleiches gilt, wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, Art. 33 Abs. 2 GG, nach dem alle Deutschen nach ihrer Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt haben, finde bezüglich der Aufnahme und dem Verbleib in dem von der Beklagten gebildeten Experten-pool Anwendung. Wenn Bewerberinnen und Bewerber das Anforderungsprofil nicht erfüllen, weil sie nicht über eine hervorragende soziale und interkulturelle Kompetenz verfügen, fehlt ihnen auch die von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Eignung.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/bewerbungen-fuer-internationale-friedenseinsaetze/
II.
Urlaub - COVID-19 - Quarantäne - Nichtanrechnung auf den Urlaub - Schadensersatz - Kontakt mit infiziertem Kollegen
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16.2.2022, 10 Sa 62/21
§ 9 BUrlG findet keine analoge Anwendung, wenn ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes nach einem Kontakt mit einer mit COVID-19 infizierten Person die Wohnung nicht verlassen darf. Der Urlaubsanspruch eines solchen Arbeitnehmers wird vielmehr im Umfang des vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs erfüllt, und das Urlaubsguthaben des Arbeitnehmers verringert sich um die entsprechenden Tage.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&nr=37289&pos=1&anz=10
III.
Vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt für Jahressonderzahlung - AGB-Kontrolle - Vertragsauslegung - betriebliche Übung - konkludente Vertragsänderung durch wiederholte Zahlung von Jahressonderzahlungen oder Gratifikationen
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.1.2022, 9 Sa 66/21
Ein in AGB vereinbarter vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur dann wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder über Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden (im Anschluss an BAG, Urteil vom 14. September 2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 38 - 40; anders LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2021 - 11 Sa 33/21, S. 17 der Gründe).
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2022&nr=37420&pos=9&anz=10
IV.
Streitwert; Beschlussverfahren; Anfechtung Sozialplan; Unterdotierung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 10.03.2022 - 4 Ta 31/22
1. Der Streitgegenstand der Anfechtung eines Sozialplans ist idR vermögensrechtlicher Art.
2. Im Falle einer Anfechtung wegen Unterdotierung ist der Gegenstandswert des Anfechtungsverfahrens idR nach billigem Ermessen unter Heranziehung sonstiger Umstände zu bestimmen, da er nicht iSv. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG anderweitig feststeht oder geschätzt werden kann (BAG 20.07.2005 - 1 ABR 23/03 (A)).
3. Maßgeblich dürfte das objektiv zu erwartende maximale Mehrvolumen eines neuen Sozialplans sein. Dies kann bei Insolvenznähe des Unternehmens dazu führen, dass die Höchstgrenze von 500.000,00 € gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. RVG nicht erreicht wird.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_4_Ta_31_22_Beschluss_20220310.html
V.
Verzugszinsen; gerichtlicher Vergleich; Auslegung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 2.03.2022 - 4 Sa 1104/21
1. Haben die Parteien den Streit über die Wirksamkeit einer Kündigung vergleichsweise dahingeregelt, dass die Kündigung erst zu einem späteren Termin wirksam werden soll, können sie nicht mehr geltend machen, das Arbeitsverhältnis habe in Wahrheit früher oder später geendet. Ansprüche auf Verzugslohn werden daher nicht erst mit dem Vergleichsschluss fällig, sondern zum arbeitsvertraglich geregelten Zeitpunkt, idR also zum jeweiligen Monatsletzten.
2. Gegenüber dem Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen auf den Verzugslohn ist der Arbeitgeber aufgrund des Vergleichs allerdings nicht mit dem Einwand ausgeschlossen, die Zahlung sei gemäß § 286 Abs. 4 BGB ausnahmsweise infolge eines Umstands unterblieben, den er nicht zu vertreten hatte. Hierfür trägt er die Darlegungs- und Beweislast.
3. Die Abrede in einem Vergleich, das Arbeitsverhältnis werde bis zu dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt "ordnungsgemäß abgewickelt", beinhaltet keinen Verzicht auf Verzugszinsen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2022/NRWE_LAG_D_sseldorf_4_Sa_1104_21_Urteil_20220302.html
VI.
BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20
In die versäumte Frist zur Einlegung der Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet eine Wiedereinsetzung nach den Vorschriften der §§ 233 ff. ZPO nicht statt.
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=7&nr=127636&pos=214&anz=831
VII.
BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - VII ZR 320/21
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats (im Anschluss an BGH, Urteil vom 15. August 2019 - III ZR 205/17, WM 2019, 1833).
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=6&nr=128276&pos=191&anz=868
VIII.
BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - VIII ZB 96/20
Zu den Pflichten des Rechtsmittelgerichts bei Zweifeln am rechtzeitigen Eingang einer per Telefax übermittelten Berufungsbegründung.
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=4&nr=128444&pos=134&anz=868
Mit besten Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
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