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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Wirksamkeit von Klauseln eines Paketdienstleisters
BGH, Urteil vom 07.04.2022, Az: I ZR 212/20
a) In Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ein Paketdienstleister gegenüber Verbrauchern bei der Besorgung von Paketversendungen verwendet, hält die Klausel Weisungen, die nach Übergabe der Pakete vom Versender erteilt worden sind, müssen nicht befolgt werden. Die §§ 418 Abs. 1 bis 5 und 419 HGB finden keine Anwendung. Einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB stand, wenn der Dienstleister Paketversendungen im Massengeschäft bei kurzer Beförderungsdauer zu niedrigen Preisen für jedermann besorgt.
b) In Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ein Paketdienstleister verwendet, benachteiligt die Klausel. Hat der Empfänger eine Abstellgenehmigung erteilt, gilt das Paket als zugestellt, wenn es an der in der Genehmigung bezeichneten Stelle abgestellt worden ist. Verbraucher im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen, da sie den Dienstleister nicht verpflichtet, den Empfänger über die erfolgte Abstellung zu informieren und damit in die Lage zu versetzen, die Sendung bald an sich zu nehmen.
c) Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, mit denen ein Paketdienstleister gegenüber Verbrauchern
•unzureichend verpackte Güter
•Güter, die einer Sonderbehandlung bedürfen (z. B. besonders zerbrechlich sind oder nur stehend oder nur auf einer Seite liegend transportiert werden dürfen)
•Telefonkarten und Pre-Paid-Karten (z. B. für Mobiltelefone)
•Geld und geldwerte Dokumente (z. B. Briefmarken, Wertpapiere, Wechsel, Sparbücher)
•Güter oder Pakete, deren Versand nach den jeweils anwendbaren Sanktionsgesetzen insbesondere wegen des Inhaltes, des Empfängers oder aufgrund des Herkunfts- oder Empfangslandes verboten ist. Sanktionsgesetze umfassen alle Gesetze, Bestimmungen und Sanktionsmaßnahmen (Handels- und Wirtschaftsbeschränkungen) gegen Länder, Personen/Personengruppen oder Unternehmen, einschließlich Maßnahmen, die durch die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die europäischen Mitgliedsstaaten verhängt wurden
von der Beförderung ausschließt, genügen den Transparenzanforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
d) Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, mit denen ein Paketdienstleister gegenüber Verbrauchern
•verderbliche und temperaturempfindliche Güter
•Güter, die zwar selbst nur einen geringen Wert besitzen, durch deren Verlust oder Beschädigung aber hohe Folgeschäden entstehen können (z. B. Datenträger mit sensiblen Informationen)
•Abfälle i. S. d. KrWG
von der Beförderung ausschließt, sind gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, weil sie nicht klar und verständlich sind.
e) Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die einen Paketdienstleister berechtigt, bei Verdacht auf das Vorliegen von Verstößen gegen Beförderungsausschlüsse Pakete zu öffnen und damit in das Postgeheimnis einzugreifen, benachteiligt Verbraucher entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, wenn dies für einen geordneten Betriebsablauf oder für den Schutz anderer Rechtsgüter nicht erforderlich ist.
f) Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Paketdienstleisters, die Verbrauchern verschuldensunabhängig eine umfassende Pflicht zur Tragung von Schäden und Kosten auferlegt, die aus einer vertragswidrigen Beauftragung zur Beförderung von Verbotsgütern resultieren, ist wegen einer unangemessenen Benachteiligung der Verbraucher unwirksam.
g) Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie eine Haftung des Paketdienstleisters für vorsätzlich oder leichtfertig verursachte Folgeschäden und Folgekosten bei Verlust oder Beschädigung eines Pakets ausschließt, verstößt gegen § 309 Nr. 7 Buchst. b BGB und § 449 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 HGB und ist gegenüber Verbrauchern unwirksam.
II.
Fristlose Kündigung wegen der Vorlage eines Testzertifikats
Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 31.03.2022, Az. 4 Ca 323/21
Die Vorlage eines Testzertifikats, das unzutreffend bescheinigt, der Antigen-Schnelltest sei von dem Leistungserbringer iSd. § 6 Abs. 1 TestV selbst durchgeführt worden, in der Absicht, die in § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG in den vom 24.11.2021 bis zum 19.03.2022 geltenden Fassungen geregelte Nachweispflicht zu umgehen, ist geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darzustellen.
III.
Abrechnungsbetrug Spesen - Entbehrlichkeit Abmahnung - Verwertbarkeit betriebsverfassungswidrig erlangter Kenntnisse im Kündigungsschutzprozess
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 21.03.2022, Az. 1 Sa 374/20
Unter Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung erlangte Kenntnisse (hier: Auswertung einer IT-Anwendung zur Reisekostenabrechnung) kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess uneingeschränkt verwenden.
IV.
Außerordentliche Kündigung - Kündigungserklärungsfrist - Elternzeit
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15. März 2022, Az. 5 Sa 122/21
Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt, wenn der Arbeitgeber im Falle von Mutterschutz oder Elternzeit die behördliche Zulässigkeitserklärung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist beantragt hat, gegen die Versagung der Zulässigkeitserklärung rechtzeitig Widerspruch bzw. Klage erhoben hat und sodann die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Kenntnisnahme vom Wegfall des Zustimmungserfordernisses (Ende des Mutterschutzes oder der Elternzeit) ausspricht.
V.
Vereinsrecht, Delegation von Aufgabe
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17.03.2022, Az. 10 U 16/21
1. Der Vorstand eines Vereins überschreitet die sich aus § 27 Abs. 3 Satz 1, § 664 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebende Grenze der zulässigen Delegation von Geschäftsführungsaufgaben, wenn er einen Dritten mit lediglich beispielhaft umschriebenen „Dienstleistungen zur Organisation und Verwaltung des Auftraggebers“ beauftragt, die einen wesentlichen Teil der zum Wirkungskreis des Vorstandes gehörenden Aufgaben umfassen. Dies gilt auch dann, wenn dem Vorstand danach noch ein eigenständig wahrzunehmender Aufgabenbereich verbleibt.
2. Erfolgt die Beauftragung des Dritten in einer derartigen Fallgestaltung entgeltlich, kann der Abschluss des Vertrages zudem gegen eine Satzungsbestimmung verstoßen, nach der die Tätigkeit im Vorstand ehrenamtlich ausgeübt wird.
3. Handelt es sich bei dem beauftragten Dritten um eine Gesellschaft, deren Gesellschafter mit den den Verein vertretenen Vorständen identisch sind, kann dies zur Unwirksamkeit des Vertrages unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht führen.
VI.
Haftung Abschlussprüfer
OLG Stuttgart, Urteil vom 22.02.2022, Az. 12 U 171/21
1. Die Kausalität der Pflichtverletzung eines Abschlussprüfers in Gestalt einer unzureichenden Prüfung für einen Schaden der Gesellschaft entfällt, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Gesellschaft, die in betrügerischer Weise ein sog. Schneeballsystem betreibt, im Falle der gebotenen Nachfragen des Abschlussprüfers alle geforderten Unterlagen durch Fälschung erstellt und dem Abschlussprüfer vorgelegt hätte.
2. Einer betrügerisch handelnden Gesellschaft steht gegen ihren Abschlussprüfer ein Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidriger Erteilung eines Testats dann nicht zu, wenn dem vorsätzlichen Handeln des Gesellschaftergeschäftsführers eine allenfalls fahrlässige Pflichtverletzung des Abschlussprüfers gegenübersteht.
VII.
Erbengemeinschaft ist zur Zahlung von Zweitwohnungsteuer verpflichtet
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.04.2022, Az. 2 S 3636/21
Mitglieder einer Erbengemeinschaft können eine zum Nachlass gehörende Wohnung innehaben und zur Zweitwohnungssteuer herangezogen werden, ohne dass es darauf ankommt, ob und inwiefern sie sich über die Nutzung der Wohnung für den persönlichen Lebensbedarf geeinigt haben.
Auch Mitglieder einer Erbengemeinschaft haben grundsätzlich die für die Zweitwohnungsbesteuerung erforderliche (gemeinschaftliche) tatsächliche Verfügungsmacht und rechtliche Verfügungsbefugnis.
VIII.
Grundbuchverfahren
BGH, Beschluss vom 10.02.2022, Az. V ZB 87/20
1. Nach dem Tod des Gesellschafters einer im Grundbuch als Eigentümerin eines Grundstücks eingetragenen GbR stellt die Buchposition des Gesellschafters keine gesondert vererbliche Rechtsposition dar; die Rechtsnachfolge in die Gesellschafterstellung vollzieht sich insgesamt nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags.
2a. Soll eine auf dem Grundstück einer GbR lastende Grundschuld nach dem Tod eines Gesellschafters mit Zustimmung des Testamentsvollstreckers und der verbliebenen Gesellschafter gelöscht werden, ohne zuvor das Grundbuch zu berichtigen, muss die Zustimmungsbefugnis des Testamentsvollstreckers nachgewiesen werden (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 13. Juli 2017 - V ZB 136/16, NJW 2017, 3715 Rn. 16 a.E.).
2b. Der Nachweis der Zustimmungsbefugnis ist jedenfalls dann erbracht, wenn sich aus der in der Form des § 29 GBO eingereichten Zustimmungserklärung des Testamentsvollstreckers und der übrigen Gesellschafter ergibt, dass es keinen schriftlichen Gesellschaftsvertrag gibt und besondere gesellschaftsvertragliche Abreden für den Todesfall nicht getroffen worden sind, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an diesen Angaben bestehen; eidesstattlicher Versicherungen bedarf es nicht.
IX.
Unzulässige Desinfektionspauschale
LG Saarbrücken, Urteil vom 08.04.2022, Az. 13 S 103/21
Der allgemeine Aufwand für die Beschaffung von Desinfektionsmaterial aus Anlass der Corona-Pandemie und der Zeitaufwand für die Desinfektion des Kundenfahrzeugs sind den durch das Grundhonorar des Schadengutachters abgegoltenen Gemeinkosten zuzuordnen; die Abrechnung einer „Desinfektionspauschale Covid-19“ als Nebenkosten kommt damit nicht in Betracht.
X.
Haftung für Schaden durch Quarantäne
BGH, Urteil vom 02.03.2022, Az. XII ZR 36/21
1. Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich (im Anschluss an Senatsurteil vom 12. Januar 2022 - XII ZR 8/21, NZM 2022, 99, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
2. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von 70 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.
3. Für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, kommt grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 12. Januar 2022 - XII ZR 8/21, NZM 2022, 99, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
4. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar und wie dem gegebenenfalls zu begegnen ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls.
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Michael Henn
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