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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Bestimmung des Inhalts einer Grunddienstbarkeit
BGH, Urteil vom 17.12.2021, Az. V ZR 44/21
Soll Inhalt eines durch eine Grunddienstbarkeit gesicherten Geh-, Fahr- und Leitungsrechts auch das Recht zum Verweilen im Sinne eines Aufenthalts und eines beliebigen Hin- und Hergehens auf dem dienenden Grundstück sein, muss dies im Grundbuch selbst zumindest schlagwortartig eingetragen werden. Eine Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung gemäß § 874 Satz 1 BGB genügt nicht.
II.
Außerordentliche Kündigung - Corona - Pflegekraft - Schutzausrüstung – Mitarbeitervertretung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.12.2021, Az. 12 Sa 46/21
1. Wird die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber angekündigt, kann die Mitarbeitervertretung das Mitberatungsverfahren (§ 45 Abs. 1 i.V. mit § 46 b) MVG-Baden) auch von sich aus einleiten.
2. Trägt eine Pflegefachkraft im Altenheim während der Coronapandemie weisungswidrig ihre persönliche Schutzausrüstung nicht oder nicht vollständig, kann dieses Verhalten auch ohne vorherige Abmahnung die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses begründen.
III.
Corona-Prämien
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 25.11.2021, Az. 6 Sa 216/21,
Corona-Prämien, die einem Arbeitnehmer in der Gastronomie vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn gezahlt werden, können aufgrund ihrer Zweckbestimmung auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen als unpfändbare Erschwerniszuschläge gem. § 850 a Nr. 3 ZPO qualifiziert werden.
IV.
Mietminderung wegen Corona
BGH, Urteil vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21
a) Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
b) Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
c) Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
V.
Einsicht des Mieters in Originalbelege der Betriebskosten
BGH, Urteil vom 15.12.2021, Az. VIII ZR 66/20
a) Ein Mieter kann hinsichtlich der bei einer Betriebskostenabrechnung vom Vermieter geschuldeten Belegvorlage grundsätzlich Einsicht in die Originale der Abrechnungsbelege zur Betriebskostenabrechnung verlangen, ohne insoweit ein besonderes Interesse darlegen zu müssen.
b) In Ausnahmefällen kann es nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) allerdings in Betracht kommen, dass der Vermieter lediglich die Vorlage von Kopien oder Scanprodukten schuldet. Die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall gegeben ist, entzieht sich allgemeiner Betrachtung und ist vom Tatrichter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
VI.
Entstehung des Anspruchs auf Vorschussrückzahlung
Verjährung Haftung BGB-Gesellschafter
BGH, Urteil vom 16.12.2021, Az. IX ZR 81/21
Der Anspruch auf Rückzahlung eines nicht verbrauchten Vorschusses für die Gebühren eines Rechtsanwalts entsteht aufschiebend bedingt bereits mit der Leistung des Vorschusses (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 7. März 2019 - IX ZR 143/18, WM 2019, 738).
Die Haftungsverbindlichkeit des Gesellschafters einer aufgelösten Gesellschaft verjährt auch dann in fünf Jahren, wenn die Gesellschaftsschuld einer kürzeren Verjährung unterliegt.
VII.
Überstundenvergütung-
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 28.10.2021, Az. 10 Ca 174/21
Überstunden sind in der Regel nicht zu vergüten, wenn der der Arbeitnehmer eine Vergütung oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht.
(Leitsatz der Redaktion)
VIII.
Geringfügiger behebbarer Mangel
BGH, Urteil vom 19.11.2021, Az. V ZR 104/20
Weist die Kaufsache einen behebbaren Mangel auf, ist der Käufer grundsätzlich selbst dann berechtigt, gemäß § 320 Abs. 1 BGB die Zahlung des Kaufpreises insgesamt zu verweigern, wenn es sich um einen geringfügigen Mangel handelt
IX.
Nachweis Zugang Kündigung
LAG Schleßwig-Holstein, Urteil vom 18.1.2022, Az. 1 Sa 159/21
Bei Übersendung eines Schriftstücks (hier Kündigungsschreiben) per Einwurf-Einschreiben und gleichzeitiger Vorlage des Einlieferungsbelegs und der Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs spricht ein Beweis des ersten Anscheins für den Zugang dieses Schriftstücks beim Empfänger.
Leitsatz der Redaktion
X.
LG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 03. Februar 2022, Az. 3 S 45/21
1. Beim Verkauf von Eintrittskarten durch Ticketdienstleister können diese als Makler i.S.v. § 652 BGB bzw. Handelsvertreter i.S.v. § 84 HGB Verträge in fremdem Namen für die jeweiligen Veranstalter abschließen oder in eigenem Namen als Kommissionäre nach §§ 383 ff. HGB auftreten.
2. Maßgeblich dafür, ob ein Eigen- oder Fremdgeschäft vorliegt, ist das Auftreten des Ticketdienstleisters gegenüber seinen Kunden, wobei bei verbleibenden Zweifeln am Auftreten im fremdem Namen nach der Beweislastregel des § 164 Abs. 2 BGB von einem Eigengeschäft auszugehen ist.
3. Auch bei einem Eigengeschäft ist Vertragsgegenstand des zwischen Ticketdienstleister und Kunde geschlossenen Kaufvertrages jedoch nicht die Durchführung der Veranstaltung selbst, sondern die Verschaffung von Eigentum und Besitz an den Eintrittskarten als sog. kleinem Inhaberpapier nach § 807 BGB.
4. Ob darüber hinaus ein Rechtskauf nach §§ 453, 433 BGB vorliegt, kann dahingestellt bleiben, da der Ticketdienstleister auch dann nur für den Bestand des Rechts, nicht aber für dessen Durchführbarkeit bzw. Einbringlichkeit einstehen muss.
5. Eine Haftung des Ticketdienstleisters aus eigenem Recht für durch die Corona-Pandemie verursachte Veranstaltungsabsagen scheidet daher im Regelfall aus.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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