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Michael Henn
Dr. Gaupp & Coll. Rechtsanwälte
Gerokstrasse 8
70188 Stuttgart


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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart


I.
Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung?
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11. November 2020, Az. 10 AZR 185/20 (A)

Tarifvertragliche Bestimmungen, die eine zusätzliche Vergütung davon abhängig machen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden, werfen Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht auf. Diese Fragen müssen durch ein Vorabentscheidungsersuchen geklärt werden, das der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union richtet.

Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger ist bei ihr als Flugzeugführer und Erster Offizier in Teilzeit beschäftigt. Seine Arbeitszeit ist auf 90 % der Vollarbeitszeit verringert. Er erhält eine um 10 % ermäßigte Grundvergütung. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) hat. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten für die erbrachten Mehrflugdienststunden eine höhere als die bereits geleistete Vergütung. Er ist der Auffassung, die tariflichen Bestimmungen seien unwirksam. Sie behandelten Teilzeitbeschäftigte schlechter als Arbeitnehmer in Vollzeit. Ein sachlicher Grund bestehe dafür nicht. Die Auslösegrenzen seien entsprechend seinem Teilzeitanteil abzusenken. Die Beklagte hält die Tarifnormen für wirksam. Die Vergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Sie bestehe erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, Fragen nach der Auslegung der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG zu beantworten. Ist für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen? Kann eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?*

Siehe:
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2020&nr=24654&pos=0&anz=40&titel=Diskriminierung_von_Teilzeitbesch%E4ftigten_bei_der_Verg%FCtung?

II.
Offensichtliche Unzuständigkeit - Einigungsstelle - Wirtschaftsausschuss - Tendenzbetrieb - Berichterstattung – Primärzuständigkeit
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.10.2020, Az. 10 TaBV 2/20

Zur Prüfung der "offensichtlichen Unzuständigkeit" der Einigungsstelle nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG gehört beim Streit, ob einem Wirtschaftsausschuss Auskünfte zu erteilen sind, auch die Frage, ob die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses vorliegen. Sind diese Voraussetzungen offensichtlich nicht gegeben, ist der Antrag bzgl. der Besetzung einer Einigungsstelle zurückzuweisen.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32847&pos=1&anz=43

III.
Fristlose Änderungskündigung - Einführung von Kurzarbeit - betriebsbedingte Kündigung
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 22.10.2020, Az. 11 Ca 2950/20

1. Eine fristlose Änderungskündigung mit dem Ziel, eine Einführung von Kurzarbeit zu ermöglichen, kann im Einzelfall als betriebsbedingte Änderungskündigung nach § 626 BGB gerechtfertigt sein.

2. Die Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur reinen Entgeltreduzierung durch Änderungskündigung sind auf eine Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit nicht übertragbar.

3. Für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Kündigung sind insbesondere eine entsprechende Ankündigungsfrist und eine Begrenzung der Dauer der (möglichen) Kurzarbeit von Bedeutung sowie der Umstand, dass Kurzarbeit nur dann eingeführt werden kann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen zur Gewährung von Kurzarbeitergeld auch in der Person des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin vorliegen.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32865&pos=0&anz=43

IV.
Außerordentlich fristlose Kündigung - Selbstbeurlaubung – Prozessbeschäftigung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1.10.2020, Az. 17 Sa 1/20

Ein eigenmächtiger Urlaubsantritt ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Dies gilt auch dann, wenn der eigenmächtige Urlaubsantritt nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einer unwirksamen Kündigung (während einer Prozessbeschäftigung) erfolgt. In diesem Zusammenhang spielt es letztlich keine Rolle, ob sich bei Auslegung der Erklärungen der Parteien zur Prozessbeschäftigung ergibt, dass eine auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses oder eine Beschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vereinbart wurde. Einer Abmahnung bedarf es regelmäßig nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung wirkt es sich nicht zugunsten des Arbeitnehmers aus, dass der Urlaubsantrag kurz vor Ablauf des Übertragungszeitraums gestellt wurde. Durch die Rechtsprechung des EuGH vom 6. November 2018 (- C-684/16 -) ist geklärt, dass die Befristung des Urlaubsanspruchs auf das Ende des Kalenderjahres bzw. den Übertragungszeitraum die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraussetzt.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32844&pos=2&anz=43

V.
Auslegung von Prozessanträgen - Eventualverhältnis mehrerer Klagegründe - Elementenfeststellungsklage - Feststellungsinteresse - Alterssicherung - Verdienstsicherung - Tarifauslegung - Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit - regelmäßige Arbeitsaufgabe
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1.10.2020, Az. 17 Sa 7/20

1. Stützt ein Kläger sein einheitliches Klagebegehren auf mehrere prozessuale Ansprüche, muss eine Rangfolge der zu prüfenden Streitgegenstände angegeben werden, andernfalls fehlt es an der notwendigen streitgegenständlichen Bestimmtheit iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

2. Mit einer Elementenfeststellungsklage kann auch der Umfang der Leistungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen der Alterssicherung (Einbeziehung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit) geklärt werden.

3. Für einen Anspruch auf Einbeziehung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit in die Verdienstsicherung ab dem 54. Lebensjahr nach § 6.4 Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV Metall) kommt es nach § 6.4.1.1 MTV Metall nicht darauf an, dass Spät- und Nachtarbeit (Lage der Arbeitszeit) zu den regelmäßigen Aufgaben des Beschäftigten gehören. Neben den weiteren Voraussetzungen für eine Berücksichtigung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit (insb. in § 6.4.1.2 MTV Metall) kommt es allein darauf an, ob dem Beschäftigten solche Arbeiten regelmäßig übertragen sind, die nach dem weiter praktizierten Arbeitszeitmodell des Arbeitgebers nacht- bzw. spätzuschlagspflichtig sind.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32703&pos=3&anz=43

VI.
Beisitzerzahl; Einigungsstelle; Gefährdungsbeurteilung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 1.10.2020, Az. 3 TaBV 4/20

1. Im Regelfall ist eine Einigungsstelle mit je zwei Beisitzern auf jeder Seite zu besetzen.

2. Bei einer Einigungsstelle zum Thema "Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von psychischen Gefährdungsbeurteilungen" kann wegen der Erforderlichkeit sowohl juristischen als auch arbeitspsychologischen Sachverstands eine Festlegung der Beisitzerzahl auf drei je Seite geboten sein (ebenso LAG Baden-Württemberg 10.09.2020 - 4 TaBV 5/20)

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32964&pos=4&anz=43

VII.
Außerordentlich fristlose Kündigung wegen Datenlöschung in erheblichem Umfang
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.9.2020, Az. 17 Sa 8/20

Löscht ein Arbeitnehmer im Anschluss an ein Personalgespräch, in dem der Arbeitgeber den Wunsch äußerte, sich vom Arbeitnehmer trennen zu wollen, vom Server des Arbeitgebers Daten in erheblichem Umfang (hier: 7,48 GB), nachdem er sich von einer Mitarbeiterin (Einkäuferin) mit den Worten "man sieht sich immer zweimal im Leben" verabschiedet hatte, rechtfertigt dies die außerordentlich fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32793&pos=7&anz=43

VIII.
Untreue des Arbeitnehmers - Schadensersatz - Betriebsübergang - Betriebsteilübergang - Rückabtretung - Verjährungshemmung durch Rechtsverfolgung - Erledigungsklausel - Erlassvertrag - sekundäre Behauptungslast infolge prozessualer Vorgeschichte
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18.8.2020, 15 Sa 48/19

1. Zu den Rechten und Pflichten iSd. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gehören auch Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus Verletzung arbeitsrechtlicher Vertragsbeziehungen sowie konkurrierende Ansprüche aus Delikts- und Bereicherungsrecht.

2. Schließt der Betriebserwerber mit dem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag nebst Gesamterledigungsklausel im Sinne eines konstitutiven negativen Schuldanerkenntnisses, dann sind hiervon regelmäßig auch mögliche Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung inklusive des Restschadensersatzanspruchs gemäß § 852 Satz 1 BGB erfasst.

3. Das Berufen auf eine solche Gesamterledigungsklausel durch den Arbeitnehmer ist nur dann treuwidrig im Sinne von § 242 BGB, wenn der Erwerber bei Vertragsschluss keine Kenntnis von der vorsätzlichen unerlaubten Handlung hatte und diese auch nicht kennen musste.

4. Die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs vorhandene Kenntnis des Veräußerers muss sich der Erwerber aufgrund der Legalzession in § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend § 404 iVm. § 412 BGB zurechnen lassen.

5. Die Verkennung der Aktivlegitimation durch den Erwerber bei Abschluss einer Gesamterledigungsklausel stellt einen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum dar.

6. Die Erhebung einer Klage aus eigenem Recht hemmt die Verjährung von Ansprüchen aus abgetretenem Recht nicht.

7. Ob und durch welches Vorbringen einer Partei eine sekundäre Behauptungslast der anderen Partei ausgelöst werden kann, ist eine Einzelfallentscheidung und hängt von Gesichtspunkten der Möglichkeit und Zumutbarkeit ab. Soweit eine Partei sich auf den für sie günstigen Umstand eines Betriebs(teil)übergangs iSv. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB stützen will, obliegt ihr die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von dessen Tatbestandsvoraussetzungen, es sei denn, die prozessuale Vorgeschichte hat eine sekundäre Behauptungslast der anderen Partei ausgelöst, der diese nicht nachgekommen ist (hier bejaht).

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=0&nr=32700&pos=9&anz=43

IX.
Restitutionsklage - Urkunde - Beweiskraft einer Privaturkunde - privates Sachverständigengutachten - qualifiziertes Parteivorbringen - nachträgliche Errichtung einer Urkunde - rechtliches Gehör – Verdachtskündigung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 3.6.2020, Az. 21 Sa 102/19

1. Wird eine Restitutionsklage auf das Auffinden oder Nutzenkönnen einer Urkunde gestützt, ist sie unzulässig, wenn die Inhalte, die mit der Urkunde bewiesen werden sollen, von deren Beweiskraft nicht erfasst sind und deshalb insoweit keine Urkunde im Sinnes des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO vorliegt.

2. Auf den Inhalt eines privaten Sachverständigengutachtens kann eine Restitutionsklage nicht zulässigerweise gestützt werden. Ein privates Sachverständigengutachten hat keine Beweiskraft hinsichtlich seines Inhalts, sondern ist nur qualifizierter Sachvortrag des Restitutionsklägers. Es bildet somit keine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO.

3. Eine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO muss grundsätzlich zu einem Zeitpunkt errichtet worden sein, in dem sie in dem früheren Verfahren noch hätte geltend gemacht werden können. Soweit für Urkunden, beispielsweise für nachträglich errichtete Personenstandsurkunden, Ausnahmen gelten, handelt es sich um solche Urkunden, die ihrer Natur nach nicht in zeitlichem Zusammenhang mit den durch sie bezeugten Tatsachen errichtet werden können und die deshalb, wenn sie - später - errichtet werden, notwendig Tatsachen beweisen, die einer zurückliegenden Zeit angehören (Anschluss an BAG 29. September 2011 – 2 AZR 674/10). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt bei einem nachträglich erstellten privaten Sachverständigengutachten nicht vor.

4. Die Verletzung rechtlichen Gehörs stellt keinen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 ZPO dar.

5. Ob dem von einer Verdachtskündigung betroffenen Arbeitnehmer ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK ausreichend ermöglicht wurde, sich von dem Verdacht zu entlasten, ist - abgesehen vom Fall des § 580 Nr. 8 ZPO – keine Frage der Zulässigkeit, sondern gegebenenfalls der Begründetheit der Restitutionsklage.

Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2020&Seite=2&nr=32706&pos=21&anz=43

X.
Nachtarbeitszuschlag Gleichheitssatz
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 08.10.2020, Az. 16 Sa 53/20

1. Die Differenzierung zwischen Nachtarbeit (50 %) und Schichtarbeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr (25 %) bei der Zuschlagshöhe im Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der obst- und gemüseverarbeitenden Industrie, Fruchtsaftindustrie, Mineralbrunnenindustrie Niedersachsen/Bremen vom 23.08.2005 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie hält sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative.

2. Praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen (Art. 3 Abs. 1 GG) ist für jede tarifvertragliche Regelung, die unterschiedliche Zuschläge für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit vorsieht, gesondert herzustellen.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200015160&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XI.
Aussetzung eines (Kündigungs-) Rechtsstreits bei Verdacht einer Straftat
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 24.09.2020, Az. 10 Ta 114/20

1. Das Beschwerdegericht hat uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund vorliegt. Ist dies der Fall, kann es die Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits jedoch nur auf Ermessensfehler hin nachprüfen. Dabei hat es nur zu prüfen, ob das Arbeitsgericht von den zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ob es von seinem Ermessen Gebrauch gemacht und ob es die allgemeinen Grenzen des Ermessens eingehalten hat.

2. Die ermessensleitenden Erwägungen sind in der Beschlussbegründung offenzulegen. Sofern sich die Ermessenserwägungen nicht zweifelsfrei aus den Akten erschließen lassen, hat das Beschwerdegericht den Beschluss aufzuheben.

3. Für die Aussetzungsentscheidung gemäß § 149 ZPO ist es nicht von Belang, ob sich der Verdacht einer Straftat erst im Laufe des Rechtsstreits ergibt oder bereits davor bestand.

4. Bei Sachverhaltsidentität ist die Aussetzung nicht unzulässig, sondern regelmäßig geboten (BGH 24. April 2018 - VI ZB 52/16).

5. Die Vorschriften über die besondere Prozessförderung in Kündigungsverfahren kommen nicht zur Anwendung, wenn nur über den Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gestritten wird.

6. Ob gewichtige Gründe im Sinne von § 149 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Aufrechterhaltung der Aussetzung nach Ablauf eines Jahres sprechen, ist keine Ermessens-, sondern eine an das Vorliegen solcher gewichtigen Gründe gebundene Entscheidung des Gerichts (BVerfG 30. Juni 2003 - 1 BvR 2020/02).

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200013569&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XII.
Nachtarbeitszuschlag – Gleichheitssatz
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 10.09.2020, Az. 16 Sa 45/20

1. Die Differenzierung zwischen regelmäßiger Nachtarbeit (25 %) und unregelmäßiger Nachtarbeit (50 %) bei der Zuschlagshöhe im Manteltarifvertrag für die milchbe- und verarbeitenden Molkereibetriebe Niedersachsen/Bremen vom 22.01.1997 verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sie hält sich im Rahmen der den Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG zustehenden Einschätzungsprärogative.

2. Praktische Konkordanz zwischen der Grundrechtsausübung durch die Tarifvertragsparteien nach Art. 9 Abs. 3 GG und den Gleichheitsrechten der Normunterworfenen (Art. 3 Abs. 1 GG) ist für jede tarifvertragliche Regelung, die unterschiedliche Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit vorsieht, gesondert herzustellen.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200014721&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XIII.
Bestandsstreitigkeiten (§ 61a ArbGG) 2. sonstige Bestandsstreitigkeiten
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 04.09.2020, Az. 14 Sa 864/19

Beschäftigungsphasen, die zum Zwecke der Anfertigung einer Doktorschrift genutzt werden, sind im Rahmen des § 2 Abs. 3 S. 1 WissZeitVG auch dann auf die gesamte zulässige Befristungsdauer nach § 2 Abs. 1 S. 1 und 4 WissZeitVG anzurechnen, wenn es sich um befristete Arbeitsverhältnisse mit nicht mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit handelt.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200015265&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XIV.
Zahlungsklagen - Gleichheitswidrigkeit eines tarifvertraglichen Nachtarbeitszuschlages
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 02.09.2020, Az. 17 Sa 208/20

Eine tarifvertragsgleiche Regelung (im Streitfall MTV Futtermittelindustrie Niedersachsen/Bremen vom 3. Juli 1989), die für Nachtarbeit einen Zuschlag vom 60 % zum Stundenlohn vorsieht, während Nachtarbeit im Schichtbetrieb lediglich mit einem Zuschlag von 25 % vergütet wird, stellt Nachschichtarbeitsnehmer gegenüber Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nacharbeit leisten, gleichheitswidrig schlechter.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200015873&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XV.
Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats - Entlohnungsgrundsätze für AT-Angestellte
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 31.08.2020, Az. 1 TaBV 102/19

Der GBR ist nach § 50 I BetrVG zuständig für den Abschluss einer GBV zur Regelung der Entlohnungsgrundsätze für AT-Angestellte, wenn ein mit allen - nach Struktur und Aufgabe gleichartigen - Betrieben an denselben Mantel- und Entgelttarifvertrag gebundenes Unternehmen AT-Angestellte unternehmenseinheitlich nach einer an die Tarifverträge anknüpfenden Vergütungsstruktur behandeln will.

Siehe:
https://www.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE200015441&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XVI.
Jahressonderzahlung - mehrere Arbeitsverhältnisse
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.09.2020, Az. 21 Sa 2169/19

Bestehen in einem Kalenderjahr nacheinander mehrere Arbeitsverhältnisse desselben oder derselben Arbeitnehmer*in zu demselben oder derselben Arbeitgeber*in, bemisst sich die Jahressonderzahlung nach § 20 Absatz 3 TV-L auch dann ausschließlich nach dem am 1. Dezember des Jahres bestehenden Arbeitsverhältnis, wenn dieses zwar vor dem 1. September aber nach dem 1. Juli des Jahres begonnen hat.

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/i6g/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200014857&documentnumber=1&numberofresults=1291&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint


XVII.
Sachgrundlose Befristung – Vorbeschäftigung
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.09.2020, Az. 21 Sa 2169/19

Eine fast 17 Jahre und 3 Monate zurückliegende Vorbeschäftigung ist jedenfalls dann als "sehr lang her" i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzurechnen, wenn das Vorbeschäftigungsverhältnis auf Betreiben der Arbeitnehmerin vorzeitig aufgelöst wurde. In einem solchen Fall ist ein Ausnutzen einer strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmerin durch die Arbeitgeberin nicht zu ersehen.

Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/i6g/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE200015026&documentnumber=2&numberofresults=1291&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

XVIII.
Erledigungserklärung, übereinstimmende, Berufungsverfahren, Kostenentscheidung, Lage der Arbeitszeit, Direktionsrecht, Ermessensreduzierung
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.10.2020, Az. 1 SaGa 4/20

Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung um die Lage der Arbeitszeit der Verfügungsklägerin

Siehe:
https://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/7D689ACFC302387FC1258610005B6FB6/$file/Beschluss-1-SaGa-4-20-20-10-2020.pdf

XIX.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juli 2020, Az. VI ZB 25/19

a)Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf.

b)Ein Rechtsanwalt muss allgemeine vorausschauende Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt; er muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Darüber hinaus muss der Rechtsanwalt, wenn er unvorhergesehen krank wird, alles zur Fristwahrung unternehmen, was ihm in der konkreten Situation möglich und zumutbar ist.

Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=8&nr=110627&pos=247&anz=640

XX.
Arbeitslohn: Zahlung von Verwarnungsgeldern durch den Arbeitgeber
Bundesfinanzhof, PE vom 29. Oktober 2020 - Nummer 050/20 - Urteil vom 13.08.2020

Mit Urteil vom 13.08.2020 – VI R 1/17 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Zahlung eines Verwarnungsgeldes durch den Arbeitgeber nicht zu Arbeitslohn bei dem Arbeitnehmer führt, der die Ordnungswidrigkeit (Parkverstoß) begangen hat.

Die Klägerin betrieb einen Paketzustelldienst im gesamten Bundesgebiet. Soweit sie in Innenstädten bei den zuständigen Behörden keine Ausnahmegenehmigung nach § 46 der Straßenverkehrs-Ordnung erhalten konnte, die ein kurzfristiges Halten zum Be- und Entladen in ansonsten nicht freigegebenen Bereichen (z.B. Halteverbots- oder Fußgängerzonen) unter bestimmten Auflagen ermöglicht hätte, nahm sie es hin, dass die Fahrer ihre Fahrzeuge auch in Halteverbotsbereichen oder Fußgängerzonen kurzfristig anhielten. Wenn für diese Ordnungswidrigkeit Verwarnungsgelder erhoben wurden, zahlte die Klägerin diese als Halterin der Fahrzeuge.

Das Finanzamt (FA) war unter Verweis auf ein früheres BFH-Urteil der Ansicht, es handele sich hierbei um Arbeitslohn. Das Finanzgericht (FG) gab demgegenüber der Klägerin Recht. Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Rechtssache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Er bestätigte das FG zunächst darin, dass im Streitfall die Zahlung der Verwarnungsgelder auf eine eigene Schuld der Klägerin erfolgt ist und daher nicht zu einem Zufluss von Arbeitslohn bei dem Arbeitnehmer führen kann, der die Ordnungswidrigkeit begangen hat.

Im zweiten Rechtsgang hat das FG aber noch zu prüfen, ob den Fahrern, die einen Parkverstoß begangen hatten, nicht dadurch ein geldwerter Vorteil und damit Arbeitslohn zugeflossen ist, weil die Klägerin ihnen gegenüber einen Regressanspruch hatte, auf den sie verzichtet hat. Dass es sich bei den zugrundeliegenden Parkverstößen um Ordnungswidrigkeiten im absoluten Bagatellbereich handelt, spielt nach dem BFH für die Beurteilung, ob Arbeitslohn vorliegt, keine Rolle.

Siehe:
https://www.bundesfinanzhof.de/de/presse/pressemeldungen/detail/arbeitslohn-zahlung-von-verwarnungsgeldern/

Mit besten Grüßen
Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident

VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
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