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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Versicherungsrecht: Anforderungen der sogenannten strengen Wiederherstellungsklausel
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. November 2019, Az. 16 U 22/19
1. Eine Sicherstellung der Wiederherstellung der versicherten Sache in gleicher Art und Zweckbestimmung im Sinne der sog. strengen Wiederherstellungsklausel in der Wohngebäudeversicherung ist nicht gegeben, wenn innerhalb der maßgeblichen Frist von 3 Jahren lediglich ein Fundament errichtet und eine Baugenehmigung nebst Antragsunterlagen vorgelegt wird.
2. Es liegt keine Gleichartigkeit der beabsichtigten Wiederherstellung vor, wenn ein aus fünf Bauteilen bestehendes ungenutztes ehemaliges landwirtschaftliches Nebengebäude ohne Strom, Wasser und Verschlussmöglichkeiten durch eine moderne, um mehr als 55 % größere unterteilte Mehrzweckhalle ersetzt werden soll.
3. Die Erstattung von Mehrkosten aufgrund behördlicher Auflagen für die Wiederherstellung der versicherten und vom Schaden betroffenen Sache (hier: der Bau eines Löschwasserbrunnens) scheidet aus, wenn es an der bedingungsgemäßen Wiederherstellung der versicherten Hauptsache fehlt.
II.
Anwendbarkeit der Mindestsätze der HOAI bei Europarechtswidrigkeit
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 25. Oktober 2019, Az. 1 U 74/18
1. Eine signifikante Einschränkung der Lebensführung, die zu einer Nutzungsentschädigung führt, kann auch dann gegeben sein, wenn zwar weiterhin ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht, der nach dem Vertrag nutzbare Wohnraum aber um ein Drittel größer sein sollte und die Anordnung der nicht nutzbaren Räume aufgrund der bevorstehenden Geburt eines Kindes von Bedeutung ist.
2. Die Mindestsätze der HOAI sind wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht auch in Altfällen nicht mehr anwendbar.
III.
Beschlußfassung WEG
BGH, Urteil vom 20. September 2019, Az. V ZR 258/18
1. Der Begriff der Verwaltung im Sinne von § 21 WEG ist weit zu verstehen und umfasst deshalb regelmäßig auch Maßnahmen, die eine Veränderung der sachenrechtlichen Grundlagen der Gemeinschaft vorbereiten sollen, damit die Wohnungseigentümer diese anschließend aus eigenem Entschluss umsetzen können; solche Maßnahmen können mehrheitlich beschlossen werden.
2. Allerdings müssen auch Beschlüsse dieser Art ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Daran wird es regelmäßig fehlen, wenn schon bei der Beschlussfassung absehbar ist, dass einzelne Wohnungseigentümer an der späteren Umsetzung nicht mitwirken werden und hierzu zweifelsfrei auch nicht (ausnahmsweise) verpflichtet sind, die mit der Vorbereitungsmaßnahme verbundenen Kosten also aller Voraussicht nach vergeblich aufgewendet werden.
IV.
Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks
BGH, Urteil vom 22.10.2019, Az. X ZR 48/17
a) Der Widerruf einer Schenkung wegen groben Undanks bedarf keiner umfassenden rechtlichen Begründung. Die Erklärung muss den zugrundeliegenden Sachverhalt allenfalls so weit darstellen, dass der Beschenkte ihn von anderen Geschehnissen unterscheiden, die Einhaltung der der in § 532 BGB vorgesehenen Jahresfrist beurteilen und im Umkehrschluss erkennen kann, welche gegebenenfalls anderen Vorfälle der Schenker nicht zum Anlass für die Erklärung des Widerrufs genommen hat.
b) Der Widerruf einer Schenkung gemäß § 530 BGB setzt objektiv eine Verfehlung des Beschenkten von gewisser Schwere voraus. Darüber hinaus muss die Verfehlung auch in subjektiver Hinsicht Ausdruck einer Gesinnung des Beschenkten sein, die in erheblichem Maße die Dankbarkeit vermissen lässt, die der Schenker erwarten kann.
c) Die Prüfung der subjektiven Seite setzt dabei in der Regel auch eine Auseinandersetzung mit den emotionalen Aspekten des dem Widerruf zugrunde liegenden Geschehens voraus. Hierfür kann auch von Bedeutung sein, ob der Beschenkte im Affekt gehandelt hat oder ob sich sein Verhalten als geplantes, wiederholt auftretendes, von einer grundlegenden Antipathie geprägtes Vorgehen darstellt.
V.
Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH als arbeitnehmerähnliche Person?
Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. Oktober 2019, Az. II ZR 386/17
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der mit einem oder mehreren anderen Gesellschafter-Geschäftsführern 50% der Geschäftsanteile hält und selbst nicht mit einem nur unbedeutenden Geschäftsanteil an der Gesellschaft beteiligt ist, ist keine arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des §17 Abs.1 Satz2 BetrAVG
VI.
Elterngeld - Einkommensermittlung - Berücksichtigung von monatlich abgerechneten Umsatzbeteiligungen als laufenden Arbeitslohn - Erfassung als sonstige Bezüge in Lohn- und Gehaltsbescheinigungen - keine Bindungswirkung einer bestandskräftigen Lohnsteueranmeldung
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 06. November 2019, Az. L 2 EG 7/19
Umsatzbeteiligungen, die der Arbeitgeber im Bemessungszeitraum monatlich ermittelt und ausgezahlt hat, sind als Bestandteil der laufenden Bezüge bei der Berechnung von Elterngeldansprüchen der Arbeitnehmerin anspruchssteigernd zu berücksichtigen. (Rn.70)
1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG ist insoweit für die Berücksichtigung von variablen Entgeltbestandteilen beim Elterngeld nach § 2c Abs. 1 S 2 BEEG vorauszusetzen, dass die erforderliche Konkordanz zwischen Lohnzahlungszeitraum und dem für den jeweiligen Lohnbestandteil maßgeblichen Bemessungszeitraum gewahrt bleibt.
2. Soweit das BSG die Ausweisung von Teilen der Entgeltzahlungen als "sonstige Bezüge" in den von Seiten des Arbeitgebers abzugebenden Lohnsteueranmeldungen einer gerichtlichen Überprüfung in Elterngeldrechtstreitigkeiten entzieht ist dies mit der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG nicht in Einklang zu bringen. Diese fordert, dass der Richter - bezogen auf das als verletzt behauptete Recht - eine hinreichende Prüfungsbefugnis über die tatsächliche und rechtliche Seite des Rechtsschutzbegehrens hat sowie über eine zureichende Entscheidungsmacht verfügt, um einer erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung wirksam abzuhelfen. (Rn.86)
VII.
Teilkündigung zur Lohnreduzierung
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 29. Oktober 2019, Az. 5 Sa 72/19
1. Zur Auslegung eines als "Änderungskündigung Lohn zum 01.09.2018" bezeichneten Schreibens der Arbeitgeberin.
2. Eine Änderungskündigung im Sinne des § 2 Satz 1 KSchG setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Willen zu erkennen gibt, sich von dem Arbeitnehmer endgültig zu trennen, sollte dieser den vorgeschlagenen Vertragsänderungen nicht zustimmen.
3. Teilkündigungen, mit denen der Kündigende einzelne Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartei einseitig ändern will, sind grundsätzlich unzulässig. Sie stellen einen unzulässigen Eingriff in das ausgehandelte Äquivalenz- und Ordnungsgefüge des Vertrags dar.
VIII.
Überstundenprozess - Darlegungs- und Beweislast
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 5. Kammer, Urteil vom 05.11.2019, Az. 5 Sa 73/19
1. Führt der Arbeitgeber für den einzelnen Arbeitnehmer ein Arbeitszeitkonto und weist er vorbehaltlos eine bestimmte Anzahl von Guthabenstunden aus, stellt er damit den Saldo des Kontos streitlos. Will der Arbeitgeber im Nachhinein den sich aus dem Arbeitszeitkonto zugunsten des Arbeitnehmers ergebenden Saldo erheblich bestreiten, obliegt es ihm ausgehend von einer gestuften Darlegungslast, im Einzelnen darzulegen, aufgrund welcher Umstände der ausgewiesene Saldo unzutreffend sei oder sich bis zur vereinbarten Schließung des Arbeitszeitkontos reduziert habe.
2. Diese Grundsätze gelten nicht, wenn sich der Arbeitnehmer zur Begründung seines Anspruchs auf selbst gefertigte Arbeitszeitaufstellungen beruft, die sich der Arbeitgeber nicht zu eigen gemacht hat. In diesem Fall sind zunächst vom Arbeitnehmer die den behaupteten Saldo begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen. Die Darlegungslast richtet sich nach den für einen Überstundenprozess geltenden Maßstäben.
IX.
Bestellung Nießbrauch an Kommanditanteil nicht eintragungsfähig
OLG Köln, Beschluss vom 07. Oktober 2019, Az. 18 Wx 18/19
Die Bestellung eines Nießbrauchs an einem Kommanditanteil kann nicht in das Handelsregister eingetragen werden (Anschluss an OLG München, Beschluss vom 8. August 2016 - 31 Wx 204/16, NZG 2016, 1064).
X.
Bankenhaftung: Schadensersatzanspruch eines Bevollmächtigten gegen die kontoführende Bank des Erblassers bei verspäteter Befolgung einer Zahlungsanweisung
LG Memmingen, Urteil vom 28. Oktober 2019, Az. 22 O 257/19
Ist die kontoführende Bank des Erblassers ohne Nachweis der Erbenstellung bereits aufgrund einer bestehenden Kontovollmacht und einer Vorsorgevollmacht verpflichtet, einer Zahlungsanweisung des Bevollmächtigten Folge zu leisten, so hat sie den ihm als Alleinerben infolge einer verspäteten Auszahlung entstandenen Verzugsschaden zu ersetzen (Rn.15)(Rn.16).
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Michael Henn
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