Urteile, die Sie interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Stuttgart
I.
Pflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig Bundessozialgericht, Urteil vom 07.06.2019, Az. B 12 R 6/18 R
Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden (Aktenzeichen B 12 R 6/18 R als Leitfall).
Zwar haben weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von in stationären Einrichtungen tätigen Pflegefachkräften. Regulatorische Vorgaben sind jedoch bei der Gewichtung der Indizien zur Beurteilung der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Sie führen im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung. Unternehmerische Freiheiten sind bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar. Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssen gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichen hierfür nicht.
Ausgehend davon war die beigeladene Pflegefachkraft im Leitfall beim Pflegeheim beschäftigt. Sie hat - nicht anders als bei dem Pflegeheim angestellte Pflegefachkräfte - ihre Arbeitskraft vollständig eingegliedert in einen fremden Betriebsablauf eingesetzt und war nicht unternehmerisch tätig.
An dieser Beurteilung ändert auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht sind auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen "entlastete" und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Hinweise zur Rechtslage:
§ 7 Absatz 1 SGB IV
1Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. 2Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Siehe:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019_22.html
II.
Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig Bundessozialgericht, Urteil vom 04.06.2019 - B 12 R 11/18 R
Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. Dies hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts heute entschieden (Aktenzeichen B 12 R 11/18 R als Leitfall).
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst "höherer Art" ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. So sind Anästhesisten - wie die Ärztin im Leitfall - bei einer Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setzt regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall war die Ärztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig. Hinzu kommt, dass Honorarärzte ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses bei ihrer Tätigkeit nutzen. So war die Ärztin hier nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Ärzte vollständig eingegliedert in den Betriebsablauf. Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe ist nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.
Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen "entlastete" und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.
Siehe:
https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019_21.html
III.
Massenentlassung - Kündigung sofort nach Eingang der Massenentlassungsanzeige zulässig Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. Juni 2019, Az. 6 AZR 459/18
Die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige kann auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist. Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind daher - vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen - wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.
Mit Beschluss vom 1. Juni 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die von ihm verfasste Massenentlassungsanzeige ging am 26. Juni 2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben vom 26. Juni 2017 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ebenso wie die Arbeitsverhältnisse der anderen 44 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt zum 30. September 2017. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 27. Juni 2017 zu. Dieser macht mit seiner Kündigungsschutzklage ua. geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) habe der Arbeitgeber auch seiner Anzeigepflicht vor einer Entscheidung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses nachzukommen. Darum dürfe die Unterschrift unter das Kündigungsschreiben, mit der die Kündigungserklärung konstitutiv geschaffen werde, erst erfolgen, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei. Das Landesarbeitsgericht ist dem gefolgt und hat der Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts stattgegeben. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe, was sich in der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens manifestiere.
Die Revision des Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Das selbstständig neben dem nach § 17 Abs. 2 KSchG durchzuführenden Konsultationsverfahren stehende, in § 17 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 2 bis 5 KSchG geregelte Anzeigeverfahren dient beschäftigungspolitischen Zwecken. Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Das setzt voraus, dass bereits feststeht, wie viele und welche Arbeitnehmer konkret entlassen werden sollen. Auf den Willensentschluss des
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
Arbeitgebers zur Kündigung kann, soll und will die Agentur für Arbeit - anders als der Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens - keinen Einfluss nehmen. Die Kündigung darf allerdings erst dann erfolgen, dh. dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies ist durch die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) geklärt, so dass der Senat von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat.
Der Senat konnte anhand der bisher getroffenen Feststellungen die Wirksamkeit der Kündigung nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob die Massenentlassungsanzeige inhaltlich den Vorgaben des § 17 Abs. 3 KSchG genügte und ob das Anhörungsverfahren gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ordnungsgemäß eingeleitet wurde.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi- bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2019&nr=22570&pos=0&anz=25&titel=Massenentlassung_- _K%FCndigung_sofort_nach_Eingang_der_Massenentlassungsanzeige_zul%E4ssig
IV.
Zur begrenzten Tarifbindung von Mitgliedern eines Arbeitgeberverbands (sog. betriebsbezogene Mitgliedschaft)
Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom Urteil vom 8.5.2019, Az. 4 Ca 26/19
1. Deißlingen gehörte zu keiner Zeit zum Regierungsbezirk Südbaden.
2. Betriebe sind nicht "mitgliedsfähig" in einem Arbeitgeberverband. Mitglied werden die Rechtsträger eines Unternehmens.
3. Denkbar ist, dass nicht für jedes Mitglied alle Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft - etwa die Tarifbindung - gleich und mit gleicher Reichweite ausgestaltet sind; die Art und Ausgestaltung der Mitgliedschaft kann unterschiedlich sein. Das Unternehmen ist dann zwar „vollständig“ Mitglied im Arbeitgeberverband, allerdings teilweise mit und teilweise ohne Tarifbindung. Insoweit keine Tarifbindung besteht, kann von einer „OT-Mitgliedschaft“ gesprochen werden.
4. Maßgeblich ist, ob die Satzung des Verbandes diese Möglichkeit bei einer auch im Übrigen zulässigen Ausgestaltung vorsieht (hier verneint).
5. Die Satzung eines Arbeitgeberverbands muss den Gleichlauf von Verantwortung und Betroffenheit gewährleisten. Regelmäßig wird zumindest die interessengerechte Auslegung ergeben, dass keine entmündigenden Bevollmächtigung durch die Mitgliedsunternehmen vorliegt.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2019&nr=28027&pos =0&anz=15
V.
Wirksamkeit betriebsverfassungsrechtlicher Abmahnungen. Arbeitsgericht Stuttgart, Beschluss vom 30.4.2019, Az. 4 BV 251/18
1. Abmahnungen, mit denen der Arbeitgeber die Amtsausübung von Betriebsratsmitgliedern rügt und Sanktionen nach § 23 Abs. 1 BetrVG androht (betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen), dürfen unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit nicht in die Personalakten der Betriebsratsmitglieder aufgenommen werden. Die Betriebsratsmitglieder können die Entfernung der Abmahnungen aus ihren Personalakten verlangen und nötigenfalls im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren durchsetzen.
2. Mahnt der Arbeitgeber alle Mitglieder des Betriebsrats ab und droht mit Sanktionen nach § 23 Abs. 1 BetrVG, kann der Betriebsrat als Gremium im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren im Wege des Feststellungsantrags die Unwirksamkeit der Abmahnungen geltend machen. Ein Antrag auf Entfernung der Abmahnungen aus einer „Betriebsratsakte“ ist ebenso wenig vorrangig zu stellen wie ein Antrag auf Rücknahme der Abmahnungen oder ein Unterlassungsantrag. Zudem kann der Betriebsrat zur Rechtsverteidigung nicht auf ein künftiges Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG verwiesen werden.
3. Es kann dahinstehen, ob betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen überhaupt zulässig sind. Jedenfalls würde für sie – anders als für individualrechtliche Abmahnungen – eine Erheblichkeitsschwelle gelten. Es wäre ein solches Verhalten des Betriebsratsmitglieds zu verlangen, das sich bereits bei einmaliger Wiederholung, oder jedenfalls sehr wenigen Wiederholungen, dazu eignet, in Summe einen groben Verstoß gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG zu begründen (hier verneint).
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
4. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht dazu berufen, im Wege des Beschlussverfahrens das im Hinblick auf das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit wünschenswerte Verhalten bzw. die Grenze zum Fehlverhalten trennscharf zu bestimmen.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2019&nr=28126&pos =1&anz=15
VI.
Betriebsbegriff
Arbeitsgericht Stuttgart, Beschluss vom 25.4.2019, Az. 21 BV 62/18
Die Verkennung des Betriebsbegriffs gemäß § 4 BetrVG stellt per se einen kausalen Anfechtungsgrund einer Betriebsratswahl dar und beeinflusst das Wahlergebnis. Dies gilt auch dann, wenn die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer in den Teilbetrieben nicht zu einer kausalen Änderung des gewählten Betriebsratsgremiums nach Größe und Zusammensetzung führt.
Allein die jahrzehntelange Teilnahme eines räumlich weit entfernten, selbständigen Betriebsteils im Sinne von § 4 Abs.1 Nr.1 BetrVG an der Wahl des Hauptbetriebs führt nicht zur Entbehrlichkeit oder Fiktion eines Teilnahmebeschlusses gemäß § 4 Abs.1 Satz 2 BetrVG.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2019&nr=28135&pos =2&anz=15
VII.
§ 7b SGB IV, Ziff. 6.2 Tarifvertrag über Zeitwertkonten im SWR vom 4. Dezember 2009 (TV ZWK) Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.3.2019, Az. 19 Sa 54/18
1. Nach Maßgabe des TV ZWK werden Zeitwertkonten eingerichtet, in die die Beschäftigten künftig fällig werdendes Arbeitsentgelt einbringen. Nach Ziff. 6.2 Satz 1 TV ZWK bleiben tarifliche Gehaltssteigerungen (z.B. Stufenaufrückung, qualifizierter Regelaufstieg) in der Freistellungsphase unberücksichtigt.
Darunter fallen nicht nur Anhebungen der laufenden Gehaltszahlungen, sondern auch Einmalzahlungen, wie sie Art. VI und Art. VII des Gehaltstarifvertrages vom 12. Juli 2017 vorsehen.
2. Befindet sich eine Arbeitnehmerin/ein Arbeitnehmer im Zahlungszeitpunkt in der Freistellungsphase, besteht nach Sinn und Zweck des Tarifvertrages kein Anspruch auf die Einmalzahlung. Daran ändert der Umstand nichts, dass mit der Einmalzahlung der Zweck einer pauschalen Lohnerhöhung für einen vorangegangenen Zeitraum verfolgt wird, in dem die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer überwiegend aktiv gearbeitet hat.
Darin liegt auch keine sachwidrige Ungleichbehandlung gegenüber den aktiven Arbeitskräften.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi- bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2019&nr=28123&pos =5&anz=15
VIII.
Zustimmungsersetzung bei unterlassener innerbetrieblicher Ausschreibung Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 12.04.2019, Az. 10 TaBV 46/18
1. Die auf die Unterlassung einer gemäß § 93 BetrVG erforderlichen Ausschreibung Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG ist rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn nicht mit internen Bewerbern zu rechnen Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 14. September 2012 - 5 TaBV 18/12 -, juris).
gestützte nicht als ist (wie
2. Auch die arbeitgeberseitige Argumentation, dass nur ein externer Bewerber die erforderliche Qualifikation in Gestalt von Objektivität, Neutralität, Distanz und vor allem Unabhängigkeit zu und von den betroffenen Arbeitnehmern gewährleiste, gibt keine Veranlassung, auf eine interne Ausschreibung von vornherein zu verzichten
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2019/NRWE_LAG_D_sseldorf_10_TaBV_46_18_Beschluss_ 20190412.html
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
IX.
Betriebsbedingte Kündigung - Betriebsstilllegung oder Betriebsübergang nach Insolvenz von Air C.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.04.2019, Az. 11 Sa 481/18
1. Flugzeuge sind als sächliche Betriebsmittel für ein Luftfahrtunternehmen unerlässlich und sie gehören deshalb zu den wesentlichen identitätsprägenden Betriebsmitteln. Der Einsatz der Flugzeuge macht aber bei wertender Betrachtungsweise trotz des enorm hohen finanziellen Wertes dieser Betriebsmittel nicht allein den Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs aus. Um die Maschinen einsetzen zu können, bedarf es deshalb auch des Einsatzes speziell ausgebildeter Piloten. Insoweit sind für den Betrieb auch die Anzahl und die Befähigung der eingesetzten Piloten von erheblicher und identitätsstiftender Bedeutung.
2. Flugzeuge, Langstrecken, Mittel- und Kurzstrecken sind ebenso wenig wie Start- und Landerechte für sich selbständig abgrenzbare wirtschaftliche und organisatorische Betriebsteile. Ist der gesamte Flugbetrieb im Wesentlichen zentral organisiert, ohne dass vor Ort eine Leitung existiert, die wesentliche Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt, so handelt es sich bei den Abflugstationen auch nicht um Betriebsteile.
3.Für die Frage, ob die Konsultation des Betriebsrats "rechtzeitig" im Sinne "rechtzeitig" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) und § 17 Abs. 2 KSchG erfolgt, ist allein entscheidend, dass der Arbeitgeber nicht durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft.
4. Eine Massenentlassungsanzeige ist nicht wegen fehlerhafter Angabe der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer von der Angabe nicht betroffen ist und sie keine Auswirkungen auf die sachliche Prüfung der Arbeitsagentur hat.
5. Für den Bereich des Massenentlassungsschutzes wird der Betriebsbegriff autonom ausgelegt.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2019/NRWE_LAG_D_sseldorf_11_Sa_481_18_Urteil_20190 425.html
X.
Rechtsweg; Rechtshängigkeit; fehlerhafte Zustellung; Zurückverweisung Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 29.04.2019, Az. 3 Ta 124/19
1.Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass in dem Fall, dass in der Klageschrift ein Prozessbevollmächtigter für die beklagte Partei benannt wird, nach § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwingend an diesen zuzustellen ist und eine gleichwohl an die Partei selbst bewirkte Zustellung der Klageschrift keine Rechtshängigkeit begründen kann, findet uneingeschränkt auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung.
2. Ein ohne Rechtshängigkeit der Klage erlassener arbeitsgerichtlicher Rechtswegbeschluss ist ebenso wie ein entsprechendes Urteil wirkungslos. Wird er mit der sofortigen Beschwerde angefochten, ist er aufzuheben und das Verfahren an das Ausgangsgericht zur Behebung des Verfahrensmangels und zur Neuvornahme der Rechtswegentscheidung nach Begründung der Rechtshängigkeit zurückzuverweisen. § 68 ArbGG sperrt die Zurückverweisung nicht, da er im Beschwerdeverfahren keine Anwendung findet.
3.Zur Kostenentscheidung und Kostenniederschlagung im Falle einer Zurückverweisung aufgrund eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2019/NRWE_LAG_D_sseldorf_3_Ta_124_19_Beschluss_20 190429.html
XI.
Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2014, 2015 und 2016, Verfall von Urlaubsansprüchen, richtlinienkonforme Auslegung, Obliegenheiten des Arbeitgebers Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 29.04.2019Az. 4 Sa 242/18
1. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG kann der Verfall von Urlaub in der Regel nur eintreten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt.
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
2. Diese Initiativlast des Arbeitgebers ist nicht auf den originären Urlaubsanspruch im jeweiligen Kalenderjahr beschränkt, sondern bezieht sich auch auf Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2019/4_Sa_242_18_Urteil_20190409.html
XII.
Kündigungsschutzprozess; Aussetzung bei Verdacht einer Straftat Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 12.04.2019, Az. 9 Ta 41/19
Im Kündigungsschutzprozess ist es regelmäßig ermessensfehlerfrei, eine Aussetzung nach § 149 ZPO abzulehnen, wenn der Rechtsstreit noch nicht so aufbereitet ist, dass abgesehen werden kann, ob eine weitere Aufklärung des Sachverhalts notwendig wird und ob eine Aufklärung der strafrechtlichen Vorwürfe besonderer Mittel eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bedarf, die im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren nicht zur Verfügung stehen.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2019/9_Ta_41_19_Beschluss_20190412.html
XIII.
Urlaubserteilung in Kündigungsfrist Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 8.05.2019, Az. 5 Sa 12/19
Die wirksame Urlaubserteilung in der Kündigungsfrist ist bei unstreitig bestehendem Vergütungsanspruch auch dann gegeben, wenn die Zusage der Vergütung in der Freistellungserklärung nicht ausdrücklich wiederholt wird.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2019/5_Sa_12_19_Urteil_20190508.html
XIV.
Kein Mehrvergleich bei Regelung zu Masseverbindlichkeit - zur entsprechenden Anwendung des § 182 InsO nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit / der Neumasseunzulänglichkeit LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2019, Az. 26 Ta (Kost) 6036/19
1. Werden Masseverbindlichkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zum Gegenstand eines Mehrvergleichs gemacht und liegen die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung im Rahmen der Festsetzung eines Gegenstandswerts für einen Vergleichsmehrwert vor, ist § 182 InsO bzw. die darin zum Ausdruck kommende Wertung entsprechend anzuwenden.
2. In Ansatz zu bringen ist dann allein der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses maßgebliche wirtschaftliche Wert.
3. Zum Streitstand bezüglich der Frage einer entsprechenden Anwendung des § 182 InsO auf Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Wege eines Leistungs- oder eines Feststellungsantrags gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin- brandenburg.de/jportal/portal/t/p4n/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE190007269&documentnumber=1&numb erofresults=1157&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XV.
Bildung eines Gesamtgegenstandswerts aus Verrechnungsposten - Verschlechterungsverbot im Beschwerdeverfahren - Bewertung von Untersagungsanträgen im Beschlussverfahren LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.06.2019, Az. 26 Ta (Kost) 6050/19
1. Bewertung von Anträgen auf Untersagung des Einsatzes von Personen, der der Betriebsrat nicht zugestimmt hat, im Rahmen eines Eilverfahrens.
2. In dem Verfahren nach § 33 Abs. 3 RVG gilt das Verschlechterungsverbot, dh die erstinstanzliche Entscheidung darf nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeändert werden (vgl. LAG Berlin- Brandenburg 20. August 2018 – 26 Ta (Kost) 6070/18, zu II 3 a der Gründe; LAG Köln 30. Dezember 2015 – 12 Ta 358/15, Rn. 17, str.).
VDAA-Arbeitsrechtsdepesche 06-2019
3. Das Verschlechterungsverbot steht einer Verrechnung von zu niedrig und zu hoch angesetzten Bewertungen einzelner Positionen nicht entgegen. Diese Positionen stellen im Beschwerdeverfahren keine eigenen Streitgegenstände dar, sondern bilden lediglich einzelne Verrechnungsposten. Sie sind nur Begründungselemente für die Bildung des einen streitigen Gesamtgegenstandswerts, der allein über die Höhe der Gebühren entscheidet (vgl. LAG Düsseldorf 25. November 2016 – 4 Ta 634/16, Rn. 13; LAG Berlin-Brandenburg 20. August 2018 – 26 Ta (Kost) 6070/18, zu II 3 a der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz 6. Juni 2007 – 1 Ta 105/07, Rn. 45).
4. Auch hinsichtlich der Anträge in dem Beschwerdeverfahren tritt eine Bindung nur in Bezug auf den begehrten Gesamtgegenstandswert ein, nicht auch auf seine Zusammensetzung aus Einzelpositionen (vgl. LAG Düsseldorf 25. November 2016 – 4 Ta 634/16, Rn. 13).
Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin- brandenburg.de/jportal/portal/t/p4n/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE190007270&documentnumber=2&numb erofresults=1157&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
XVI.
Kündigung im Bundesfreiwilligendienstverhältnis - Anforderungen und Folgen für den Taschengeldanspruch - Passivlegitimation
LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.05.2019, Az. 26 Sa 1847/18
1. Zur Rechtsnatur des Bundesfreiwilligendienstverhältnisses.
2. Kein Zugang einer Kündigung bei Einwurf des Benachrichtigungszettels in den Briefkasten des Empfängers, wenn das Schreiben nicht abgeholt wird.
3. Passivlegitimation der Bundesrepublik (nicht der Einsatzstelle) für den Taschengeldanspruch eines Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst.
4. Auslegung einer Bundesfreiwilligendienstvereinbarung.
5. Kein Übergang von Taschengeldansprüchen auf Sozialleistungsträger, soweit nach § 11b Abs. 2 Satz 6 SGB II vom Taschengeld iSd. § 2 Nr. 4 des BFDG ein Betrag in Höhe von 200 Euro monatlich abzusetzen ist.
Siehe:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin- brandenburg.de/jportal/portal/t/p4n/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE190007228&documentnumber=3&numb erofresults=1157&doctyp=juris-r&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
Mit besten kollegialen Grüßen Ihr
Michael Henn Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V. Kronprinzstr. 14
70173 Stuttgart
Telefon: (0711) 3058 9320
Telefax: (0711) 3058 9311 Email: info@vdaa.de www.vdaa.de
« zurück