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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Rechtswegabgrenzung zwischen allgemeinem Zivilgericht und Arbeitsgericht: Arbeitnehmereigenschaft des abberufenen Geschäftsführers einer GmbH
OLG München, Beschluss vom 27.10.2014, Az. 7 W 2097/14
1.Mit der Abberufung aus der Organschaft bzw. mit deren Eintragung in das Handelsregister entfällt die gesetzliche Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG. (Rn.5)
2.Nach dem Wegfall der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ist anhand des Anstellungsverhältnisses zu prüfen, ob der abberufene Geschäftsführer einer GmbH deren Arbeitnehmer ist mit der Folge der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG. (Rn8)
II.
Zusätzliche Urlaubstage nach Vollendung des 58. Lebensjahres
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.10.2014, Az. 9 AZR 956/12
Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein. Bei der Prüfung, ob eine solche vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter dient und geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG ist, steht dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zu.
Die nicht tarifgebundene Beklagte stellt Schuhe her. Sie gewährt ihren in der Schuhproduktion tätigen Arbeitnehmern nach Vollendung des 58. Lebensjahres jährlich 36 Arbeitstage Erholungsurlaub und damit zwei Urlaubstage mehr als den jüngeren Arbeitnehmern. Die 1960 geborene Klägerin hat gemeint, die Urlaubsregelung sei altersdiskriminierend. Die Beklagte habe deshalb auch ihr jährlich 36 Urlaubstage zu gewähren.
Die Vorinstanzen haben den hierauf gerichteten Feststellungsantrag der Klägerin abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte hat mit ihrer Einschätzung, die in ihrem Produktionsbetrieb bei der Fertigung von Schuhen körperlich ermüdende und schwere Arbeit leistenden Arbeitnehmer bedürften nach Vollendung ihres 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten als jüngere Arbeitnehmer, ihren Gestaltungs- und Ermessensspielraum nicht überschritten. Dies gilt auch für ihre Annahme, zwei weitere Urlaubstage seien aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen, zumal auch der Manteltarifvertrag der Schuhindustrie vom 23. April 1997, der mangels Tarifbindung der Parteien keine Anwendung fand, zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vorsah.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2014&nr=17674&pos=0&anz=56&titel=Zus%E4tzliche_Urlaubstage_nach_Vollendung_des_58._Lebensjahres
III.
Betriebsrentenanpassung - Wahrung der Rügefrist nach § 16 BetrAVG
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.10. 2014, Az. 3 AZR 690/12
Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Hält der Versorgungsberechtigte die Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers für unrichtig, muss er dies vor dem nächsten Anpassungsstichtag dem Arbeitgeber gegenüber wenigstens außergerichtlich geltend machen. Eine Klage, die zwar innerhalb dieser Frist bei Gericht eingeht, dem Arbeitgeber aber erst danach zugestellt wird, wahrt die Frist nicht. § 16 BetrAVG fordert einen tatsächlichen Zugang der Rüge beim Arbeitgeber innerhalb der Rügefrist.
Der Kläger bezieht seit 1993 eine Betriebsrente. Die Beklagte passte die Betriebsrente des Klägers zum Anpassungsstichtag 1. Juli 2008 unter Berufung auf die reallohnbezogene Obergrenze auf monatlich 1.452,83 Euro an. Mit der per Telefax am 27. Juni 2011 sowie im Original am 28. Juni 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 6. Juli 2011 zugestellten Klage hat der Kläger die Anpassungsentscheidung der Beklagten angegriffen und die Zahlung einer höheren Betriebsrente verlangt. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Kläger kann nicht verlangen, dass die Beklagte an ihn ab dem 1. Juli 2008 eine höhere Betriebsrente zahlt, da er die von der Beklagten zu diesem Anpassungsstichtag getroffene Anpassungsentscheidung nicht fristgerecht bis zum 30. Juni 2011 gerügt hat. Zwar ist die auf Zahlung einer höheren Betriebsrente gerichtete Klage vor Ablauf der Rügefrist beim Arbeitsgericht eingegangen. Sie wurde der Beklagten jedoch erst danach und damit verspätet zugestellt. Aus § 167 ZPO folgt nichts anderes. Die Auslegung von § 16 BetrAVG ergibt, dass die Rüge einer unzutreffenden Anpassungsentscheidung dem Arbeitgeber bis zum Ablauf des Tages zugegangen sein muss, der dem folgenden Anpassungsstichtag vorangeht. Der Arbeitgeber muss, um seine wirtschaftliche Lage zuverlässig beurteilen zu können, bereits am jeweils aktuellen Anpassungsstichtag wissen, ob und in wie vielen Fällen eine vorangegangene Anpassungsentscheidung gerügt wurde.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2014&nr=17675&pos=0&anz=57&titel=Betriebsrentenanpassung_-_Wahrung_der_R%FCgefrist_nach_%A7_16_BetrAVG
IV.
Beendigung alternierender Telearbeit
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 10.09.2014, Az. 12 Sa 505/14
Der Kläger war bei der Beklagten, einer überregional tätigen Bank, zuletzt als Firmenkundenbetreuer tätig. Die Parteien vereinbarten im Jahr 2005 alternierende Telearbeit. Ausweislich dieser Vereinbarung war der Kläger zu mindestens 40 % an der häuslichen Arbeitsstätte tätig. Die betriebliche Arbeitsstätte war die Niederlassung der Beklagten, die je nach Verkehrsweg 70 bis 90 km vom Wohnort des Klägers entfernt lag. In der Vereinbarung zur Telearbeit hieß es, dass ein Rechtsanspruch auf einen alternierenden Telearbeitsplatz nicht begründet wird. Weiter war vereinbart, dass die häusliche Arbeitsstätte von beiden Parteien mit einer Ankündigungsfrist von vier Wochen aufgegeben werden kann. Nachdem die Parteien im Herbst 2013 erfolglos über die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verhandelt hatten, kündigte die Beklagte die Vereinbarung der Telearbeit. Dabei beteiligte sie den Betriebsrat nicht.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beendigung der Telearbeit sei unwirksam. Diese sei nur erfolgt, weil er sich nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingelassen habe. Die Beklagte ist der Ansicht, die Beendigung der Telearbeit sei nach der Vereinbarung wirksam. Sie habe zudem eine Umstrukturierung des Vertriebs vorgenommen. Das neue Vertriebskonzept stehe der Telearbeit entgegen.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage ebenso wie das Arbeitsgericht stattgegeben und festgestellt, dass die Beendigung der alternierenden Telearbeit unwirksam ist und die Beklagte verurteilt, den Kläger weiter zu mindestens 40 % an seiner häuslichen Arbeitsstätte zu beschäftigen. Eine Abrede in allgemeinen Arbeitsvertragsbedingungen, welche die Beendigung einer vereinbarten alternierenden Telearbeit für den Arbeitgeber voraussetzungslos ermöglicht und nicht erkennen lässt, dass dabei auch die Interessen des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind, ist wegen Abweichung von dem gesetzlichen Leitbild, wonach die Bestimmung des Arbeitsortes durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen zu erfolgen hat (§ 106 Satz 1 GewO), unwirksam. Es fehlte zudem an der Zustimmung des Betriebsrats. Die Beendigung alternierender Telearbeit stellt regelmäßig eine Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dar. Dies gilt auch dann, wenn ein Ortswechsel für das Arbeitsverhältnis typisch ist, weil der Arbeitnehmer als Marktverantwortlicher seine Arbeit zu einem Großteil bei den Kunden erbrachte. Die Einbindung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung ist auch bei teilweiser Telearbeit aufgrund von deren Besonderheiten eine völlig andere als ohne Telearbeit, so dass sich bei der Beendigung der Telearbeit das Bild der Tätigkeit grundsätzlich ändert.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/23_10_2104_/index.php
V.
Nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen? - Ein schwerbehinderter Bewerber hat nicht immer einen Entschädigungsanspruch!
Arbeitsgericht Kiel, Urteil vom 19.09.2014, Az öD 2 Ca 1194 c/14
Schreibt ein öffentlicher Arbeitgeber eine wegen Altersteilzeit frei gewordene Stelle nur für Arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte aus, benachteiligt er allein dadurch keine schwerbehinderten Bewerber, die eine Anstellung haben. Er muss sie nicht zum Bewerbungsgespräch einladen (Arbeitsgericht Kiel 19.09.2014 – öD 2 Ca 1194 c/14).
Nachdem an ihrer Universität wegen Altersteilzeit ein Arbeitsplatz frei geworden war, schrieb die Beklagte diese Stelle nur für arbeitslos Gemeldete oder von Arbeitslosigkeit Bedrohte aus, um eine aufstockende Förderung nach dem Altersteilzeitgesetz in Anspruch nehmen zu können. Der fachlich für die Tätigkeit zweifelsfrei geeignete Kläger bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung und stellte auf Nachfrage klar, dass er nicht arbeitslos und auch nicht von Arbeitslosigkeit bedroht sei. Daraufhin wurde er im Auswahlverfahren nicht weiter berücksichtigt und verlangte nun mit seiner Klage von der beklagten öffentlichen Arbeitgeberin 30.000,00 Euro Entschädigung nach dem Antidiskriminierungsgesetz.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Aus der Tatsache, dass die Stelle eingeschränkt ausgeschrieben war, lässt sich keinerlei Zusammenhang ableiten, dass die Nichtberücksichtigung des Klägers an dessen Behinderung anknüpfte oder durch diese motiviert war. Im Übrigen muss ein öffentlicher Arbeitgeber geeignete schwerbehinderte Bewerber zwar grundsätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Geschieht dies nicht, ist das in der Regel ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung. Lädt ein öffentlicher Arbeitgeber aber einen Bewerber mit Behinderung ausschließlich deshalb nicht zum Vorstellungsgespräch ein, weil dieser die formalen Voraussetzungen der beschränkten Ausschreibung nicht erfüllt, ist die Indizwirkung widerlegt.
Das Urteil ist – noch – nicht rechtskräftig.
Siehe:
http://www.schleswig-holstein.de/LAG/DE/Service/MedienInformationen/PI/prm1514.html
VI.
Leistungsbeurteilung im Zeugnis
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11. 2014, Az.9 AZR 584/13
Bescheinigt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Zeugnis unter Verwendung der Zufriedenheitsskala, die ihm übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit“ erfüllt zu haben, erteilt er in Anlehnung an das Schulnotensystem die Note „befriedigend“. Beansprucht der Arbeitnehmer eine bessere Schlussbeurteilung, muss er im Zeugnisrechtsstreit entsprechende Leistungen vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn in der einschlägigen Branche überwiegend gute („stets zur vollen Zufriedenheit“) oder sehr gute („stets zur vollsten Zufriedenheit“) Endnoten vergeben werden.
Die Klägerin war vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2011 in der Zahnarztpraxis der Beklagten im Empfangsbereich und als Bürofachkraft beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörten ua. die Praxisorganisation, Betreuung der Patienten, Terminvergabe, Führung und Verwaltung der Patientenkartei, Ausfertigung von Rechnungen und Aufstellung der Dienst- und Urlaubspläne. Darüber hinaus half die Klägerin bei der Erstellung des Praxisqualitätsmanagements. Die Beklagte erteilte ihr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Arbeitszeugnis. Die Parteien streiten noch darüber, ob die Leistungen der Klägerin mit „zur vollen Zufriedenheit“ oder mit „stets zur vollen Zufriedenheit“ zu bewerten sind. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und angenommen, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die von der Klägerin beanspruchte Beurteilung nicht zutreffend sei.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die vom Landesarbeitsgericht zur Ermittlung einer durchschnittlichen Bewertung herangezogenen Studien, nach denen fast 90 % der untersuchten Zeugnisse die Schlussnoten „gut“ oder „sehr gut“ aufweisen sollen, führen nicht zu einer anderen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auf die in der Praxis am häufigsten vergebenen Noten an. Ansatzpunkt ist die Note „befriedigend“ als mittlere Note der Zufriedenheitsskala. Begehrt der Arbeitnehmer eine Benotung im oberen Bereich der Skala, muss er darlegen, dass er den Anforderungen gut oder sehr gut gerecht geworden ist. Im Übrigen lassen sich den Studien Tatsachen, die den Schluss darauf zulassen, dass neun von zehn Arbeitnehmern gute oder sehr gute Leistungen erbringen, nicht entnehmen. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Untersuchungen eingegangen sind, die dem Wahrheitsgebot des Zeugnisrechts nicht entsprechen. Der Zeugnisanspruch nach § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO richtet sich auf ein inhaltlich „wahres“ Zeugnis. Das umfasst auch die Schlussnote. Ein Zeugnis muss auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein.
Der Neunte Senat hat die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses wird als Tatsacheninstanz zu prüfen haben, ob die von der Klägerin vorgetragenen Leistungen eine Beurteilung im oberen Bereich der Zufriedenheitsskala rechtfertigen und ob die Beklagte hiergegen beachtliche Einwände vorbringt.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2014&nr=17750&pos=2&anz=62&titel=Leistungsbeurteilung_im_Zeugnis
VII.
Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014, Az.1 AZR 257/13
Die Aufforderung eines Arbeitgebers an die in seinem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer zu erklären, ob sie einer bestimmten Gewerkschaft angehören, kann die Koalitionsbetätigungsfreiheit der betroffenen Gewerkschaft unzulässig einschränken.
Die Klägerin - die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) - ist Mitglied der dbb tarifunion. Die beklagte Arbeitgeberin gehört dem Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e.V. (KAV Bayern) an. Dieser schloss im Jahr 2006 mit ver.di und der dbb tarifunion jeweils einen gleichlautenden „Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern“. Nach deren Kündigungen und zunächst gemeinsam geführten Verhandlungen erzielte ver.di mit dem KAV Bayern am 20. August 2010 eine Einigung. Die dbb tarifunion erklärte die Verhandlungen am 25. August 2010 für gescheitert und kündigte die Durchführung einer Urabstimmung über Streikmaßnahmen an. Mit Schreiben vom selben Tag forderte die Arbeitgeberin die in ihrem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer auf, unter Angabe von Name und Personalnummer mitzuteilen, ob man Mitglied in der GDL ist oder nicht.
Die GDL hat von der Arbeitgeberin verlangt, es zu unterlassen, die in ihrem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer nach einer Mitgliedschaft in der GDL zu befragen. Eine solche Frage verletze ihre durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und sei generell unzulässig. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat ihm mit Einschränkungen entsprochen. Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Antrag insgesamt abgewiesen.
Zwar beeinträchtigt die Fragebogenaktion die kollektive Koalitionsfreiheit der GDL. Art. 9 Abs. 3 GG schützt als koalitionsmäßige Betätigung den Abschluss von Tarifverträgen und hierauf gerichtete Arbeitskampfmaßnahmen. Die geforderte Auskunft verschafft der Arbeitgeberin genaue Kenntnis vom Umfang und Verteilung des Mitgliederbestands der GDL in ihrem Betrieb. Sie zielt nach Art und Weise der Befragung während einer laufenden Tarifauseinandersetzung mit Streikandrohung darauf ab, den Verhandlungsdruck der GDL unter Zuhilfenahme ihrer Mitglieder zu unterlaufen. Das von der Arbeitgeberin vorgebrachte Interesse, die mit ver.di erzielte Tarifeinigung umzusetzen, rechtfertigt eine solche Befragung nicht.
Gleichwohl hatte der nicht auf den vorstehenden Sachverhalt beschränkte, sondern alle denkbaren Fallgestaltungen umfassende Unterlassungsantrag der GDL aus deliktsrechtlichen Gründen keinen Erfolg. Der Senat hatte daher nicht darüber zu befinden, ob in einem sogenannten tarifpluralen Betrieb grundsätzlich ein Fragerecht des Arbeitgebers nach der Gewerkschaftszugehörigkeit besteht oder nicht. Die weiteren Unterlassungsanträge der GDL waren aus verfahrensrechtlichen Gründen abzuweisen.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2014&nr=17752&pos=1&anz=62&titel=Frage_nach_der_Gewerkschaftszugeh%F6rigkeit
VIII.
Mindestentgelt in der Pflegebranche
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.11.2014, Az. 5 AZR 1101/12
Das Mindestentgelt nach § 2 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) vom 15. Juli 2010 ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen.
Die 1954 geborene Klägerin war bei der Beklagten, die einen privaten Pflegedienst betreibt, als Pflegehelferin gegen ein Bruttomonatsentgelt von 1.685,85 Euro beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte ua. die Pflege und Betreuung von zwei Schwestern einer Katholischen Schwesternschaft, die beide an Demenz leiden und an den Rollstuhl gebunden sind. Neben den eigentlichen Pflegeleistungen oblagen der Klägerin auch Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung der Schwestern (wie zB Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Wechseln und Waschen von Wäsche). Die Klägerin arbeitete in zweiwöchigen Rund-um-die-Uhr-Diensten, während derer sie verpflichtet war, an der Pflegestelle anwesend zu sein. Sie bewohnte in den Arbeitsphasen im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern. Diese nahmen täglich von 11:45 bis 12:45 Uhr am gemeinsamen Mittagessen der Schwesternschaft und von 17:50 bis 18:50 Uhr am Gottesdienst teil. Mit ihrer Klage hat sie für die Monate August bis Oktober 2010 die Nachzahlung von insgesamt 2.198,59 Euro brutto begehrt und geltend gemacht, das Mindestentgelt von - damals - 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV sei für jede Form der Arbeit zu zahlen. Die Beklagte hat eingewendet, die Klägerin habe nicht 24 Stunden am Tag gearbeitet. Das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV sei nicht für Bereitschaftsdienst zu zahlen. Für diesen könne arbeitsvertraglich eine geringere Vergütung vereinbart werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage auf der Basis von 22 mit dem Mindestentgelt zu vergütenden Stunden je Arbeitstag im Rund-um-die-Uhr-Dienst stattgegeben. Die Zeiten des Mittagessens und der Teilnahme am Gottesdienst hat das Landesarbeitsgericht als nicht zu vergütende Pausen gewertet. Die Revision der Beklagten blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt und knüpft damit an die vergütungspflichtige Arbeitszeit an. Dazu gehören nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Arbeitsbereitschaft und der Bereitschaftsdienst. Während beider muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle unverzüglich die Arbeit aufzunehmen. Zwar kann dafür ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit bestimmt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege aber keinen Gebrauch gemacht. Deshalb sind arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die für Bereitschaftsdienst in der Pflege ein geringeres als das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV vorsehen, unwirksam.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2014&nr=17759&pos=0&anz=62&titel=Mindestentgelt_in_der_Pflegebranche
IX.
Herausnahme beurlaubter Beamter aus dem Geltungsbereich eines Sozialplans
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 25.8.2014, Az. 11 Sa 78/13
Die Herausnahme beurlaubter Beamter aus dem Geltungsbereich eines Sozialplans kann im Hinblick auf deren besonderen Kündigungsschutz gerechtfertigt sein.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=2&nr=18679&pos=20&anz=49
X.
Vertragsstrafenregelung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 8.7.2014, Az. 11 Sa 31/14
Auslegung einer Vertragsstrafenregelung im Formulararbeitsvertrag - Bestimmtheitsgebot – Übersicherung
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=1&nr=18673&pos=13&anz=49
XI.
Unangemessen lang hinausgeschobene Fälligkeit einer als Gratifikation bezeichneten Gewinnbeteiligung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.2014, Az.17 Sa 20/14
Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach der eine als Gratifikation bezeichnete Gewinnbeteiligung erst 25 Jahre nach Abschluss der Vereinbarung in zehn jährlichen Raten auszubezahlen ist, enthält jedenfalls dann eine unangemessen lange Frist für die Erbringung einer Leistung gemäß § 308 Nr. 1 BGB, wenn eine Insolvenzsicherung und eine Verpflichtung zur angemessenen Verzinsung fehlt.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=0&nr=18674&pos=5&anz=49
XII.
Arbeitnehmerüberlassung im Konzern - Versuchsfahrer/Mechaniker - Werkvertrag
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 5.11.2014, Az. 11 Ca 8426/13
1.Das Recht eines Leiharbeitnehmers, einen Entleiher auf Feststellung in Anspruch zu nehmen, es bestehe zu ihm ein Arbeitsverhältnis kann auch vergangenheitsbezogen geltend gemacht werden, wenn ein entsprechendes Feststellungsinteresse gegeben ist. Das vergangenheitsbezogene Klagerecht verwirkt nicht, wenn der Kläger ununterbrochen und auch noch im Zeitpunkt der Klageerhebung für den Entleiher tätig war, auch wenn er in dieser Zeit mehrfach seinen Vertragsarbeitgeber/Verleiher gewechselt hat. Dieser Umstand steht auch der materiellrechtlichen Verwirkung des Rechts, sich auf die Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zu berufen, entgegen.
2.Ein Versuchsfahrer erbringt regelmäßig tätigkeitsbezogene Leistungen, die Gegenstand eines Dienstverhältnisses oder Arbeitsverhältnisses sein können, wenn er vorgegebene Fahraufträge abarbeitet. Ein abgrenzbares und abnahmefähiges Werk wird nicht erstellt. Der dem zugrundeliegende Kooperations- bzw. Projektierungsvertrag zwischen zwei Unternehmen ist nicht als Werkvertrag zu qualifizieren, wenn der eine Vertragspartner im Wesentlichen nur die Verfügbarkeit von Fahrern zu gewährleisten hat.
3.Ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn die Konkretisierung der Vertragspflichten erst dadurch erfolgt, dass der "Besteller/Auftraggeber" Weisungen gegenüber den Erfüllungsgehilfen/Arbeitnehmern seines Vertragspartners hinsichtlich des Arbeitsvorgangs, des Arbeitsorts, der Zeiteinteilung usw. erteilt. Entsprechendes gilt auch für die Tätigkeiten eines Mechanikers zur Wartung und Reparatur von Erprobungsfahrzeugen, wenn die Leistungen nicht im Wesentlichen in dem zugrundeliegenden Vertrag festgelegt sind. Auf die Bezeichnung als "Werkvertrag" kommt es nicht an, sondern vorrangig auf die tatsächlichen Verhältnisse.
4.Sind die Vertragsbeziehungen mehrerer Unternehmen und einer Arbeitskraft danach als Arbeitnehmerüberlassung einzuordnen und liegen die Voraussetzungen für die erlaubnisfreie konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Abs. 3 Ziff. 2 AÜG aF nicht vor, kommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande. Das Arbeitsverhältnis wird nicht dadurch beendet, dass der Arbeitnehmer in der Folgezeit bei unverändertem Einsatz ein Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber begründet, der über die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt. Mit Abschluss eines solchen Arbeitsvertrages übt der Arbeitnehmer kein Wahlrecht zugunsten eines neuen Arbeitsverhältnisses unter Aufgabe des kraft Gesetzes mit dem Entleiher zustandegekommenen aus.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=0&nr=18705&pos=0&anz=49
XIII.
Außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung - Fremdvergabe eines Museumsshops
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 8.10.2014, Az. 11 Ca 2434/14
1.Die Entscheidung des öffentlichen Arbeitgebers, einen Museumsshop an einen externen Betreiber zu vergeben stellt eine unternehmerische Entscheidung dar, die nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen ist. Sie ist Bestandteil der durch Art. 12, 14, 2 Abs. 1 Grundgesetz geschützten unternehmerischen Freiheit. Eine solche Maßnahme ist geeignet, die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist eines Arbeitnehmers zu rechtfertigen, der aufgrund einer tarifvertraglichen Bestimmung ordentlich unkündbar ist. Das gilt in gleicher Weise für eine Änderungskündigung.
2.Bestehen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, ist vorrangig eine Änderungskündigung auszusprechen. Der besondere Kündigungsschutz wirkt sich auf die Darlegungslast des Arbeitgebers aus. Dieser hat gegenüber einer ordentlichen Änderungskündigung erheblich gesteigerte Bemühungen bei der Prüfung der Frage zu entfalten, welche Vertragsänderungen er dem Arbeitnehmer mit dem Änderungsangebot zumutet. Die Suche nach gleichwertigen Tätigkeiten beschränkt sich nicht auf den - vorliegend musealen - Bereich, in welchem der Arbeitnehmer bisher beschäftigt war. Die Prüfung von Beschäftigungs- und Einsatzmöglichkeiten erstreckt sich auf sämtliche Geschäftsbereiche des betreffenden öffentlichen Arbeitgebers im Rahmen seines gesamten territorialen Einflussbereichs. Hierzu hat der öffentliche Arbeitgeber von sich aus umfassend vorzutragen.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=0&nr=18704&pos=3&anz=49
XIV.
Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses gegen ein Vertragsverhältnis über die freie Mitarbeit eines Redakteurs bei einer Presseagentur
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 6.10.2014, Az. 11 Ca 2368/14
1.Eine Presseagentur unterfällt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz. Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts für den Bereich Funk und Fernsehen entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen gegen Vertragsverhältnisse über eine freie Mitarbeit sind auf das Pressewesen übertragbar.
2.Bei sogenannten programmgestaltenden Mitarbeitern wirkt sich Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz dahin aus, dass eine Beschäftigung in freier Mitarbeit als grundsätzlich zulässige Vertragsgestaltung anzusehen ist.
3.Entgegen der ausdrücklich getroffenen Vereinbarung kann aber auch bei programmgestaltenden Mitarbeitern ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn ihnen ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigentinitiative und Selbstständigkeit verbleibt und die Arbeiten auch in zeitlicher Hinsicht zugewiesen werden.
4.Das ist nicht der Fall, wenn ein Redakteur auf Themen inhaltlich Einfluss nehmen kann und Zeitungsartikel eigenverantwortlich im Wesentlichen frei von fremder Kontrolle inhaltlich und sprachlich erarbeitet, sodass sie ihm als Verfasser zugeordnet werden können und er durch namentliche Nennung nach außen auch als solcher erkennbar wird. Das ist darüber hinaus nicht der Fall, wenn dem Redakteur bei der Arbeitsleistung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht Freiräume verbleiben; eine gewisse organisatorische Einbindung steht dem nicht entgegen. Einer freien Mitarbeit steht auch nicht entgegen, dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wie bei einem Arbeitsverhältnis abgeführt werden.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2014&Seite=0&nr=18703&pos=4&anz=49
XV.
Anspruch auf Urlaubsabgeltung - Elternzeit - Kürzungserklärung nach Ende der Elternzeit und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 16.09.2014, Az. 15 Sa 533/14
1.Der Urlaubsanspruch einer in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin kann auch noch nach dem Ende der Elternzeit gem. § 17 Abs 1 Satz 1 BEEG durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers gekürzt werden.
2.Der Urlaubsabgeltungsanspruch einer zuletzt in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin kann auch noch durch eine nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegebene Erklärung des Arbeitgebers gem. § 17 Abs 1 Satz 1 BEEG gekürzt werden.
3.Die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gem. § 17 Abs 1 Satz 1 BEEG wirkt ex tunc, d.h., rückbezogen auf den Zeitpunkt der Entstehung des Urlaubsanspruchs. Sie hat zur Folge, dass der Urlaubs- und damit auch der Urlaubsabgeltungsanspruch so zu behandeln ist, als sei er in Höhe der Kürzung nie entstanden.
4.Die vorliegend vertretene Auslegung von § 17 Abs 1 Satz 1 BEEG ist unionsrechtskonform. Sie verstößt weder gegen Art 5 Nr 2 der Richtlinie 2010/18/EU noch gegen Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG.
Siehe:
http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE140018149&st=null&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint
XVI.
Verteidigungsmittel Berufung
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1.10.2014, Az. VII ZR 28/13
Stützt ein Berufungsgericht in einem Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO seine Rechtsauffassung auf einen Gesichtspunkt, den der Berufungskläger erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, muss diesem Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die hierdurch veranlassten neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel dürfen nicht zurückgewiesen werden.
Siehe:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=69217&pos=10&anz=423
XVII.
Arbeitgeber zum Aufwendungsersatz verpflichtet
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 23.10.2014, Az. 14 U 34/14
Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg hat einen Arbeitgeber dem Grunde nach verurteilt, einer Berufsgenossenschaft die von ihr zu leistenden unfallbedingten Aufwendungen zu erstatten. Über die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen muss das Landgericht Oldenburg entscheiden.
Ein Mitarbeiter der beklagten Firma arbeitete im Dezember 2007 auf dem Flachdach eines Werkstattneubaus in Diepholz. Das Flachdach war mit Rauhspundplatten belegt, auf denen weitere Arbeiten ausgeführt wurden. In die Rauhspundplatten sägten Arbeiter der beklagten Firma ca. 5 qm große Löcher. Im Anschluss wurde die gesamte Fläche mit einer Dampfsperrfolie abgedeckt. Die Löcher waren dadurch verdeckt. Hier sollten später Lichtkuppeln eingesetzt werden. Der Mitarbeiter der Beklagten betrat das Dach, stürzte in eines der Löcher und fiel mehr als drei Meter in die Tiefe. Er erlitt schwerste Verletzungen, insbesondere ein offenes Schädel-Hirn-Trauma. Aufgrund dieser Verletzungen ist er vollständig erwerbsgemindert und lebt in einem Pflegeheim. Die Berufsgenossenschaft hat als gesetzlicher Unfallversicherer des Beklagten für den Verunfallten bereits Leistungen von rund 1.000.000 € erbracht, die sie nunmehr dem Grunde nach erstattet verlangen kann. Daneben hat der Senat festgestellt, dass der Beklagte auch verpflichtet ist, der Berufsgenossenschaft die künftig entstehenden Aufwendungen zu erstatten. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hafte der Berufsgenossenschaft für die von ihr zu erstattenden Aufwendungen, weil der Beklagte die Bauarbeiten ohne Sicherheitsvorkehrungen von seinen Arbeitnehmern hatte durchführen lassen und damit gegen Unfallverhütungsvorschriften verstieß. Nach den Unfallverhütungsvorschriften müssen bei einer möglichen Absturzhöhe von mehr als drei Metern Absturzsicherungen angebracht werden und Öffnungen auf Dachflächen, die kleiner als 9 qm sind, ebenfalls mit Sicherungen gegen ein Hineinfallen oder Hineintreten versehen werden. Dem im Prozess vorgebrachten Einwand, eine Sicherung sei nicht möglich gewesen, folgten die Richter nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, warum beispielsweise kein Gerüst unterhalb der Löcher im Dach aufgebaut worden sei. Das bewusste Absehen von den Sicherungsmaßnahmen stellt aus Sicht des Senats ein grobes Verschulden dar. Die Richter führten dazu aus: „ … Es musste sich für den Beklagten jedoch aufdrängen, dass solche Sicherungsmaßnahmen nach dem Arbeitsablauf für die weiteren Dacharbeiten unverzichtbar waren …“. Dieses Gefahrenpotential habe sich noch zusätzlich durch die aufgebrachte Dampfsperre erhöht, die die vorhandenen Öffnungen wieder überdeckte. Auch wenn die Öffnungen im Dach weiterhin erkennbar blieben, sei die Wahrnehmbarkeit durch das Bild einer einheitlichen Fläche herabgesetzt gewesen.
Das Landgericht hat sich jetzt mit der Höhe der Aufwendungen zu befassen und darüber zu entscheiden, ob die Berufsgenossenschaft tatsächlich den gesamten Betrag vom Beklagten verlangen kann.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Siehe:
http://www.oberlandesgericht-oldenburg.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=22086&_psmand=136
XVIII.
Handelsvertretervertrag
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2014, Az. VII ZB 16/14
Der in einem Handelsvertretervertrag enthaltenen Bestimmung "Der Consultant darf während der Vertragszeit nur – hauptberuflich - für M. tätig sein und die M. - Dienstleistungen und die von M. freigegebenen Finanzprodukte vermitteln" ist ein vertragliches Tätigkeitsverbot im Sinne von § 92a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB zu entnehmen.
Siehe:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=69327&pos=5&anz=467
XIX.
Fristverlängerung
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.10.2014, Az. VII ZB 15/14
Geht auf einen Fristverlängerungsantrag keine gerichtliche Mitteilung ein, muss sich der Prozessbevollmächtigte rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist - gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht - Gewissheit verschaffen (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - VI ZB 69/08, MDR 2010, 401).
Siehe:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=69328&pos=4&anz=467
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
Neue Adresse - ab 13.10.2014:
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
Kronprinzstr. 14
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