Wenn Vaters Stimme Umwege befiehlt
Können sich psychisch Kranke wegen ständiger Halluzinationen im Straßenverkehr nicht zielgerichtet fortbewegen, gelten sie trotzdem nicht als gehbehindert. Betroffene haben daher keinen Anspruch auf das sogenannte „Merkzeichen G“ im Schwerbehindertenausweis, entschied das Landessozialgericht (LSG) Hamburg in einem am Montag, 19. September 2011, veröffentlichten Urteil (Az.: L 4 SB 7/09).
Schwerbehinderte mit dem „Merkzeichen G“ können nach den geltenden Vorschriften im öffentlichen Nahverkehr Busse und Bahnen kostenfrei nutzen. Bei der Sozialhilfe kann ein Mehrbedarf geltend gemacht werden.
Im Streitfall hatte ein schwerbehinderter Hamburger das „Merkzeichen G“ beantragt. Er sei wegen seiner Schizophrenie und damit auftretenden Halluzinationen im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Er höre ständig die Stimme seines Vaters, die ihn immer wieder befiehlt, mal über eine Straße zu laufen, Ampeln nicht zu beachten oder statt geradeaus nach links zu gehen. Dies führe dazu, dass er Umwege laufe und teilweise zwei Stunden benötige, um nahe Ziele zu erreichen.
Während das Sozialgericht aufgrund der Halluzinationen noch von einer Gehbehinderung ausging, lehnte das LSG dies in seinem Urteil vom 12. April 2011 ab. Die psychische Erkrankung beeinträchtige den Kläger zwar teilweise in seiner Fortbewegung. Die gesetzlichen Regelungen sehen für die Erteilung des „Merkzeichen G“ jedoch grundsätzlich vor, dass die Einschränkung des Gehvermögens durch innere, organische Leiden verursacht werden muss. Dazu zählten nicht nur Funktionsstörungen der Beine, sondern auch Atembehinderungen, welche längeres Laufen unmöglich machen oder epileptische Anfälle.
Eine weitere Voraussetzung für die Anerkennung des Merkzeichens G sei, dass Gehbehinderte zwei Kilometer nicht innerhalb von 30 Minuten zu Fuß zurücklegen können, so das LSG. Der Kläger brauche zwar mitunter etwas länger, um ein entsprechend entferntes Ziel zu erreichen. Körperlich könne er diese Entfernung aber ohne Probleme meistern. Auch eine Störung der Orientierungsfähigkeit – welche ebenfalls zum „Merkzeichen G“ berechtigen kann – liege nicht vor. Der Kläger laufe wegen der wahrgenommenen Stimmen weite Umwege, er wisse aber immer genau, wo er sich befindet, betonten die Hamburger Richter.
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Mitgeteilt von Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder, Kanzlei Blaufelder, Ludwigsburg
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