Zivilurteil kann Sozialgerichte binden
Werden vor Gericht Forderungen gestellt, ohne genau zu wissen, wer für diese geradestehen muss, kann der Kläger in einem Gerichtsverfahren auch mehrere mögliche Prozessgegner mit ins Boot holen. Eine solche sogenannte Nebenintervention ist im Grundsatz auch über die Grenzen der Gerichtszweige hinweg möglich, wie das Bundessozialgericht (BSG) in einem am Dienstag, 13. September 2011, verkündeten Grundsatzurteil entschied (Az.: B 1 KR 4/11 R). Danach kann ein zivilgerichtliches Urteil in begrenztem Umfang auch die Sozialgerichte binden.
Die Klägerin ist Allgemeinärztin in München. Als leitende Notärztin wurde sie häufig angefordert, um die Verlegung eines Patienten von einem Krankenhaus in ein anderes zu begleiten. Die AOK Bayern hatte dies bis Ende 2001 bezahlt, lehnte eine Honorierung danach aber ab: Im Zuge neuer, pauschaler Klinikhonorare seien auch die Kosten einer Verlegung in den Fallpauschalen der Krankenhäuser enthalten. So fielen bis August 2003 nicht bezahlte Honorare von über 15.000 Euro an.
Die Ärztin klagte zunächst gegen zwei Kliniken, verkündete in diesem Verfahren aber auch der AOK den Streit. Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied am 5. August 2005 (Az.: 8 U 5066/04), dass keine Ansprüche gegen die Kliniken bestehen; zahlen müsse wohl die AOK.
Zuständig für eine Honorarklage der Ärztin gegen die AOK sind jedoch nicht die Zivil-, sondern die Sozialgerichte. Sozialgericht und Landessozialgericht in München wiesen aber auch hier die Klage ab. Vor dem BSG war nun streitig, ob wegen der „Streitverkündung“ gegen die AOK vor dem OLG München die Sozialgerichte an dessen Feststellung gebunden sind, dass Ansprüche gegen die AOK bestehen.
Im Grundsatz ist eine solche „Interventionswirkung“ über die Grenze zu anderen Gerichtszweigen hin möglich, urteilte nun das BSG. Wie auch innerhalb der Zivilgerichte selbst beziehe sich diese aber nur auf die tragenden Gründe eines Urteils. Die Meinung des OLG zur Zuständigkeit der Krankenkassen seien aber „überschießende Ausführungen“ abseits der tragenden Urteilsgründe gewesen. Daran seien aber die Sozialgerichte nicht gebunden.
Mit den sozialgerichtlichen Vorinstanzen und abweichend vom OLG sah das BSG auch keine gesetzliche oder vertragliche Grundlage für die Forderungen der Ärztin gegen die AOK. Es wies die Klage daher ab.
In der Verhandlung vor dem BSG klang an, dass möglicherweise das Transportunternehmen, welches die Ärztin nach den Vorgaben der beauftragenden Klinik jeweils angefordert hatte, für die Vergütung zuständig gewesen ist.
Seit 2008 gibt es als Besonderheit in Bayern für solche Patiententransporte einen offiziellen „Verlegungsarzt“. Diesen bezahlen die Krankenkassen.
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Mitgeteilt von Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder, Kanzlei Blaufelder, Ludwigsburg
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