Justizia
 
 
Jürgen Möthrath
Carl-Ulrich-Str. 3
67547 Worms


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Mit der Verurteilung eines Straftäters angeordnete Sicherungsverwahrung nicht konventionswidrig - Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) -

(Worms) In zwei am 09. Juni 2011 verkündeten Kammerurteilen in den Verfahren Schmitz gegen Deutschland (Beschwerdenummer 30493/04) und Mork gegen Deutschland (Beschwerdenummern 31047/04 und 43386/08), die noch nicht rechtskräftig sind, stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig fest, dass durch die Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung ihrer Haftstrafe. keine Verletzung von Artikel 5 § 1 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorlag.

Darauf verweist der Wormser Fachanwalt für Strafrecht Jürgen Möthrath, Präsident des VdSRV-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte und Strafverteidiger e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf eine entsprechende Mitteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg vom 09. Juni 2011.
Beide Fälle betrafen die Unterbringung der Beschwerdeführer in der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung ihrer Haftstrafe. Der Gerichtshof bekräftigte seine Rechtsprechung, wonach die mit der Verurteilung eines Straftäters angeordnete Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug „nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht“ im Sinne der Konvention zulässig ist. Zugleich begrüßt der Gerichtshof das kürzlich ergangene Leiturteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das alle Regelungen zur nachträglichen Verlängerung und nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat.

•Zusammenfassung des Sachverhalts

Die Beschwerdeführer, Paul H. Schmitz und Hermann Walter Mork, sind deutsche Staatsangehörige, 1959 und 1955 geboren. Beide sind mehrfach vorbestraft und haben zuletzt eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen schwerer Straftaten verbüßt; derzeit sind sie in Aachen in der Sicherungsverwahrung untergebracht, die jeweils mit ihrer Verurteilung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet wurde.
Herr Schmitz wurde im Februar 1990 vom Landgericht Köln wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich ordnete das Gericht seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Zwei Monate nach Verbüßung seiner Haftstrafe wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt. Kurz nach seiner Entlassung wurde Herr Schmitz wieder straffällig, und im November 1996 verurteilte ihn das Landgericht Köln wegen versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten, zudem ordnete das Gericht seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Die Aussetzung der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung zur Bewährung wurde später von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn angesichts der erneuten Straffälligkeit Herrn Schmitz’ und seiner geringen Therapiemotivation widerrufen. Seit Verbüßung seiner letzten Haftstrafe im Mai 2000 ist Herr Schmitz in der Sicherungsverwahrung untergebracht, wie in den Urteilen von 1990 bzw. 1996 angeordnet.
Der von Herrn Schmitz gestellte Antrag auf Entlassung aus der Sicherungsverwahrung wurde vom Landgericht Aachen in einer Entscheidung zurückgewiesen, die das Oberlandesgericht Köln im September 2003 bestätigte. Im März 2004 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, Herrn Schmitz’ Verfassungsbeschwerde gegen seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Entscheidung anzunehmen (Az. 2 BvR 1838/03).

Herr Mork wurde im Februar 1998 vom Landgericht Aachen wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung sah das Gericht zunächst ab, der Bundesgerichtshof hob das Urteil in diesem Punkt aber später auf, und eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen ordnete im November 2001 seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit an. Die Kammer stützte sich auf ein psychiatrisches Sachverständigengutachten und kam zu der Auffassung, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sei.

Im März 2004 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, Herrn Morks Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Entscheidung anzunehmen (Az. 2 BvR 1046/02). In einem weiteren Verfahren lehnte es das Bundesverfassungsgericht im Juli 2008 ab, seine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen (Az. 2 BvR 2356/07), die sich gegen die Entscheidungen der für die Vollstreckung zuständigen Gerichte richtete, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Anschluss an seine Haftstrafe unter Verweis auf seine fortwährende Gefährlichkeit anzuordnen.

Unter Berufung insbesondere auf Artikel 5 § 1 rügten beide Beschwerdeführer ihre Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Verbüßung ihrer Haftstrafe. Herr Schmitz machte zudem eine Verletzung von Artikel 7 § 1 (keine Strafe ohne Gesetz) geltend.

•Entscheidung des Gerichtshofs

Der Gerichtshof sah keinen Grund, von seinem Urteil im Fall M. gegen Deutschland abzuweichen, in dem er festgestellt hatte, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die zusammen mit der Verurteilung angeordnet worden war, bis zum Ablauf der zum Zeitpunkt seiner Tat und Verurteilung vorgeschriebenen Höchstdauer von zehn Jahren mit der Konvention vereinbar war. Folglich befand der Gerichtshof, dass die Unterbringung von Herrn Schmitz und Herrn Mork in der Sicherungsverwahrung ebenso als „nach Verurteilung“ im Sinne von Artikel 5 § 1 (a) zu bewerten war. Im Gegensatz zum Fall M. gegen Deutschland überschritt die Dauer der Sicherungsverwahrung in den beiden vorliegenden Fällen nicht die zum Zeitpunkt der Tat zulässige Höchstdauer.

Zwischen der Verurteilung und dem fortdauernden Freiheitsentzug bestand ein ausreichender Kausalzusammenhang. Die Entscheidungen der für die Strafvollstreckung zuständigen Gerichte, Herrn Schmitz und Herrn Mork nicht zu entlassen, standen im Einklang mit der gerichtlichen Anordnung der Sicherungsverwahrung bei ihrer jeweiligen Verurteilung, die darauf abzielte, sie an der Begehung weiterer schwerer Straftaten zu hindern.

Die Unterbringung von Herrn Schmitz und Herrn Mork in der Sicherungsverwahrung war auch insofern rechtmäßig, als sie sich auf eine vorhersehbare Anwendung des StGB stützte. In diesem Zusammenhang nahm der Gerichtshof das Leiturteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zur Kenntnis, das alle Regelungen zur nachträglichen Verlängerung und nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat, weil diese das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot in Verbindung mit dem Freiheitsgrundrecht verletzten. Der Gerichtshof begrüßt den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts, die Bestimmungen des Grundgesetzes auch im Lichte der Konvention und der Rechtsprechung des EGMR auszulegen, mit dem das Verfassungsgericht sein fortwährendes Bekenntnis zum Grundrechtsschutz nicht nur auf innerstaatlicher, sondern auch auf europäischer Ebene unterstreicht.

Weiter nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil entschieden hat, dass die geltenden Regelungen über die Anordnung und Dauer der Sicherungsverwahrung mit dem Freiheitsgrundrecht insoweit nicht vereinbar sind, als sie den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Abstandsgebots zwischen der Sicherungsverwahrung auf der einen und dem Strafvollzug auf der anderen Seite nicht genügen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht diese Regelungen nicht rückwirkend für nichtig erklärt; zudem war die Unterbringung Herrn Schmitz’ und Herrn Morks in der Sicherungsverwahrung einer älteren Fassung des StGB gemäß angeordnet worden. Die Rechtmäßigkeit ihrer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist folglich nicht in Frage gestellt und es lag keine Verletzung von Artikel 5 § 1 vor.
Der Gerichtshof erklärte außerdem die erste Beschwerde Herrn Morks (31047/04) über die Anordnung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bei seiner Verurteilung für unzulässig, da er den innerstaatlichen Rechtsweg im Hinblick auf diesen Beschwerdepunkt nicht erschöpft hatte. Zudem stellte der Gerichtshof fest, dass Herr Schmitz nicht beanspruchen kann, Opfer einer rückwirkenden Verlängerung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu sein, folglich war seine Beschwerde gemäß Artikel 7 § 1 unzulässig.
Gemäß Artikel 43 und 44 der Konvention sind Kammerurteile nicht rechtskräftig, so Möthrath. Innerhalb von drei Monaten nach der Urteilsverkündung kann jede Partei die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer beantragen. Liegt ein solcher Antrag vor, berät ein Ausschuss von fünf Richtern, ob die Rechtssache eine weitere Untersuchung verdient. Ist das der Fall, verhandelt die Große Kammer die Rechtssache und entscheidet durch ein endgültiges Urteil. Lehnt der Ausschuss den Antrag ab, wird das Kammerurteil rechtskräftig.
Sobald ein Urteil rechtskräftig ist, wird es dem Ministerkomitee des Europarats übermittelt, das die Umsetzung der Urteile überwacht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 in Straßburg von den Mitgliedstaaten des Europarats errichtet, um die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 sicherzustellen.
Möthrath riet grundsätzlich – unabhängig von diesem Fall – in allen strafrechtlich relevanten Fällen sowie als Opfer von Gewalttaten so früh wie möglich rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die Anwälte und Anwältinnen in dem VdSRV-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte und Strafverteidiger e. V. – www.strafrechtsverband.de - verwies.

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

Jürgen Möthrath
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht
Präsident des VdSRV Verband deutscher StrafrechtsAnwälte
und Strafverteidiger e. V.
Karl-Ulrich-Straße 3, 67547 Worms
Tel.: 06241 – 938 000
Fax: 06241 – 938 00-8
Email: kanzlei@ra-moethrath.de
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