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Trendwende für niedergelassene Vertragsärzte und Pharmaindustrie bei der Strafrechtsprechung? ...

(Worms) Das Landgericht Hamburg hat am 9.12.2010 einen niedergelassenen Vertragsarzt, der in den Jahren 2004 und 2005 von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien in Höhe von insgesamt 10.641 Euro für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben soll, wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.

Gleichzeitig, so der Berliner Fachanwalt für Strafrecht Dr. Niklas Auffermann, Leiter des Fachausschusses „Kapitalverbrechen" des VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Worms,  verurteilte das Landgericht die mitangeklagte Außendienstmitarbeiterin des Pharmakonzerns wegen Bestechung zu einer Geldstrafe von ebenfalls 90 Tagessätzen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Das Amtsgericht (AG) Ulm hatte als erstes deutsches Gericht bereits einige Wochen zuvor am 26.10.2010 (Az.: 3 Cs 37 Js 9933/07) in einem gleichgelagerten Fall zwei niedergelassene Vertragsärzte einer Gemeinschaftspraxis, die umsatzabhängige Prämien in Höhe von 19.180 Euro vom Pharmaunternehmen für die Verordnung von Medikamenten erhalten haben sollen, wegen § 299 StGB sowie Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und einer Geldbuße in Höhe von 20.000 Euro verurteilt. Auch dieses Urteil ist nicht rechtskräftig.

In beiden Fällen sollen die Zahlungen dabei nach außen als Honorare für Schulungen und Vorträge deklariert worden sein. 

Der Hintergrund: Korruptive Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie 
 

Verteidiger, Staatsanwälte und Richter streiten seit vielen Jahren im Arztstrafrecht darüber, ob ein niedergelassener Vertragsarzt (früher: Kassenarzt) überhaupt bestechlich sein kann. Denn § 299 StGB ist seinem Wortlaut nach zunächst nur auf angestellte Ärzte anwendbar. Niedergelassene Vertragsärzte sind jedoch Freiberufler. Allerdings kann sich auch der Betriebsinhaber nach § 299 StGB strafbar machen, wenn er „für einen anderen Betrieb", also als Beauftragter tätig ist. Nachdem das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig mit einem Beschluss vom 23.2.2010 (Ws 17/10) den Ball ins Rollen gebracht und niedergelassene Vertragsärzte als „Beauftragte" der Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB eingeordnet hatte, gehen derzeit immer mehr Staatsanwaltschaften dazu über, gegen niedergelassene Vertragsärzte und Pharma-Mitarbeiter wegen des Verdachts der Korruption nach § 299 StGB zu ermitteln, so Auffermann. 

Nun wird sich der BGH mit dem Urteil des Landgerichts Hamburg zu beschäftigen haben und möglicherweise ein erstes Grundsatzurteil fällen. Dies wird angesichts der erheblichen Rechtsunsicherheit mit Spannung erwartet, doch lässt ein aktuelles Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH Prof. Thomas Fischer nichts Erfreuliches für Ärzte und Pharmakonzerne erwarten. Denn Fischer ist der Meinung, dass ein niedergelassener Arzt als Beauftragter der Krankenkasse handeln und sich deshalb auch der Bestechlichkeit schuldig machen kann (Sh. Der Spiegel Nr. 44 - 2010, S. 86). Diesen Standpunkt vertritt Fischer auch in seiner aktuellen Kommentierung zum StGB (Fischer, StGB 58. Aufl. 2011, § 299, Rz. 10 b). 

Schließlich verstößt die Praxis, die den Urteilen zugrunde liegt auch gegen die ärztliche Berufsordnung, nach der es Ärzten nicht gestattet ist, für Verordnungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten Geschenke oder andere Vorteile für sich oder Dritte zu fordern, sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen. 

Antrag der SPD Fraktion: Neue Straftatbestände für Ärzte
 

Doch nicht nur die Rechtsprechung sondern auch das Parlament ist in Bewegung: Die SPD Fraktion hat am 10.11.2010 einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht (BT-Drucks. 17/3685), aufgrund der unklaren Gesetzeslage neue Straftatbestände zur Bestechung und Bestechlichkeit von niedergelassenen Vertragsärzten einzuführen. Die SPD Fraktion appelliert darüber hinaus an die dafür zuständigen Länder, „besonders qualifizierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Ermittlungsgruppen bei der Kriminalpolizei zur Verfolgung von Korruption im Gesundheitswesen" zu errichten, da derzeit spezielle Verwaltungseinheiten nur in Bayern, Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Niedersachsen vorhanden seien. 

Das Risiko für Ärzte und Pharmareferenten, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten, ist damit hoch. Absprachen zwischen Vertragsärzten und der Pharmaindustrie, die bis vor kurzem noch gängige Praxis waren, können nun die Strafverfolgung begründen. Die Orientierung an den strengen Grundsätzen und Verhaltensrichtlinien bzw. -kodizes, die von den verschiedenen Verbänden für die Zusammenarbeit der Pharma- und Medizinprodukteindustrie und Klinikärzte entwickelt wurden, ermöglicht jedoch auch in Zukunft Kooperationen, so Auffermann. 

Dr. Auffermann rät allen Ärzten und Pharmareferenten im Hinblick auf diese Entwicklung, sich in Zweifelsfällen strafrechtlich beraten zu lassen, wobei er u. a. auch auf die in dem VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. - www.vdsra.de - organisierten Anwälte und Anwältinnen verwies. 

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

Dr. Niklas Auffermann
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht/Mediator
Leiter des VdSRA Fachausschusses „Kapitalverbrechen"
Fachanwälte für Strafrecht am Potsdamer Platz
Dr. Frank, Dr. Müller, Dr. Auffermann
Potsdamer Platz 8
10117 Berlin
Tel.: 030 / 31 86 85 3
Fax: 030 / 31 86 85 55
 
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