Auch ein Urteil ohne Gründe führt nicht zwingend zur Zurückverweisung in der Berufungsinstanz:
Der Bundesgerichtshof hat am 29.04.2010; Aktenzeichen: I ZR 39/08 die Revision, welche Rechtsverletzung mangels Rückverweisung durch das Berufungsgericht rügte zurückgewiesen.
Das Verfahren im ersten Rechtszug hatte an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gelitten, da das Urteil bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasst war und nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden war. Gilt ein Urteil als nicht mit Gründen versehen, kann sich die notwendige Begründung einer Berufung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO) allerdings nur auf den Hinweis beschränken, eine Begründung der anzugreifenden Entscheidung liege nicht vor (vgl. BGH, Beschl. v. 15.10.2003 - XII ZB 102/02, NJW-RR 2004, 361, 362).
Auch wenn ein solcher Mangel vorliegt, muss das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil jedoch nicht zwingend aufheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückverweisen.
Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, nach § 538 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet, aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt.
Die Revision vertrat den rechtlichen Standpunkt, dass eine Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht stets erforderlich sei, wenn das erstinstanzliche Urteil als nicht mit Gründen versehen gelte; denn in diesem Fall fehle die notwendige Grundlage für ein Berufungsverfahren.
Gilt ein Urteil als nicht mit Gründen versehen, kann sich die notwendige Begründung einer Berufung (§ 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO) allerdings nur auf den Hinweis beschränken, eine Begründung der anzugreifenden Entscheidung liege nicht vor (vgl. BGH, Beschl. v. 15.10.2003 - XII ZB 102/02, NJW-RR 2004, 361, 362).
Fehlen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts, kann das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung auch nicht die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Daraus folgt entgegen der Ansicht der Revision jedoch nicht, dass das Berufungsgericht die Sache in einem solchen Fall aufheben und an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen muss.
Das Berufungsgericht kann die erforderlichen Feststellungen vielmehr selbst treffen.
Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass das Verfahren beim Landgericht an einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO leidet.
Ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist.
Da die Erinnerung der Richter mit fortschreitender Zeit zunehmend verblasst, kann davon ausgegangen werden, dass das Beratungsergebnis nach einer Frist von über fünf Monaten - aufbauend auf dem vorhandenen Fachwissen - eher rekonstruiert als reproduziert wird.
In einem solchen Fall gilt ein Urteil daher als im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO nicht mit Gründen versehen (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 27.4.1993 - GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603 ff.). Alle in § 547 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe sind zugleich wesentliche Verfahrensmängel im Sinne des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO (BGH, Urt. v. 13.4.1992 - II ZR 105/91, NJW 1992, 2099, 2100).
Bereits das Berufungsgericht hat angenommen, das Überschreiten der Fünfmonatsfrist nicht dazu führt, dass das Urteil des Landgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit - wie von der Klägerin beantragt - ohne Sachprüfung an das Landgericht zurückzuverweisen ist. Vielmehr dürfe das Berufungsgericht die Sache nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO auch bei einem wesentlichen Verfahrensmangel nur zurückverweisen, wenn eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme erforderlich sei.
Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil es keiner weiteren Beweisaufnahme bedürfe. Diese Rechtsansicht wurde vom BGH bestätigt: Das Berufungsgericht hat nach § 538 Abs. 1 ZPO grundsätzlich die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden und darf die Sache nach § 538 Abs. 2 ZPO nur ausnahmsweise an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen.
Dem steht, anders als die Revision meint, nicht entgegen, dass sich die unterlegene Partei dann nicht mehr in einer zweiten Instanz mit den Feststellungen und Würdigungen der ersten Instanz auseinandersetzen kann. Es steht grundsätzlich in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob hinsichtlich des Rechtswegs mehrere Instanzen bereitgestellt werden, unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können und wie weit die Prüfungsbefugnis des Gerichts reicht (vgl. zu § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO BVerfG, Kammerbeschl. v. 24.1.2005 - 1 BvR 2653/03, NJW 2005, 1768, 1769 m.w.N.). Soweit die Vorschrift des § 538 ZPO zur Folge hat, dass den Parteien - wie hier - im Ergebnis eine Tatsacheninstanz genommen wird, verletzt dies daher weder den Justizgewährungsanspruch (Art 19 Abs. 4 GG) noch, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) oder die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
Wir, MJH Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Martin J. Haas wünschen jedenfalls allen Klägerin und Beklagten, dass Urteile nach dem Verkündungstermin mit Gründen versehen zugestellt werden und somit eine zeitnahe Orientierung für die Durchführung des Berufungsverfahrens gewährleistet ist.
Der Gesetzgeber hat lediglich für den Fall der Revision § 547 Nr. 6 ZPO die notwendige Zurückverweisung geregelt, wobei das Revisionsgericht eigene Tatsachenfeststellungen (im Gegensatz zum Berufungsgericht) nicht treffen darf. Eine analoge Rechtsanwendung scheidet daher mangels „planwidriger Regelungslücke“ aus.
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