Schadensersatz wegen der Vermittlung von Lehman-Zertifikaten
von Rechtsanwalt Alexander Rilling, Stuttgart
Die erste Woge von Artikeln und Berichten über mögliche Schadensersatzansprüche von Anlegern, die ihr Geld in Lehman-Zertifikate investiert hatten, ist abgeebbt. Nach wie vor ist davon auszugehen, dass wenig Hoffnung für die Anleger besteht, aus der Insolvenzmasse von Lehman noch Geld zu erhalten.
Zertifikate-Inhaber stehen als Gläubiger in der Rangliste weit hinten. Das meiste Geld dürfte verteilt sein, bis sie an die Reihe kommen. Anleger werden sich nun nach anderen Wegen umsehen, sich schadlos zu halten. Diese Wege sind steinig.
Dabei liegt es zwar nahe, den Vermittler der Anlage oder den Berater, der die Anlage in Lehman-Zertifikaten empfohlen hat, in Regress zu nehmen. Banken sind schon seit einem Bundesgerichtshof-Urteil von 1993 (AZ: XI ZR 12/93) dazu verpflichtet, den Kunden nach individuellem Anlageziel und persönlicher Risikobereitschaft zu beraten. Je komplexer das Wertpapier, desto intensiver hat die Beratung zu sein. Nach einem Bericht der Tagesthemen vom 23.10.2008 gewährt eine Hamburger Sparkasse ihren Kunden schon teilweise Schadenersatz, will aber jeden Fall einzeln prüfen, da kein Fall wie der andere liege.
Indes: Die Jahre nach 2000, als die Aktienkurse fielen und viele Anleger überrascht erkennen mussten, dass Aktienkurse auch den Weg nach unten kennen, haben gezeigt, dass ein Regressanspruch gegen den Anlagevermittler kein Selbstläufer ist. Um Erfolg zu haben, muss eine Falschberatung der jeweiligen Bank geltend gemacht werden, die das Lehman Brothers Zertifikat vermittelte und die Risikoaufklärung unterließ.
Zunächst muss eine Pflicht der Bank bestanden haben, den Kunden entsprechend zu beraten. Das muss nicht in jedem Verkaufsfall so sein. Der Kunde, der direkt zur Bank kommt und gezielt ein bestimmtes Produkt verlangt, wird sich in der Regel nicht darauf berufen können, seine Kaufentscheidung beruhe auf einer falschen Empfehlung der Bank.
Die nächste Hürde auf dem Weg zum Schadensersatz mag darin bestehen, dass der Kunde schon mehrfach Zertifikate erworben hat und daraus abgeleitet wird, dass er die Risiken kennt. Ich halte das für zweifelhaft: Solange die Anlagen immer gut gingen wird auch kein Risikobewusstsein geschaffen.
Eine weiteres Kriterium ist die Haltedauer: Generell wird derjenige Anleger größere Aussicht auf Schadensersatz haben, bei dem Erwerb und Verlust zeitlich nicht weit auseinander liegen. Wem die Anlage im September empfohlen wurde, dürfte bessere Karten haben, als der Investor der schon im März angelegt hat. In den Veröffentlichungen der letzten Wochen wird darauf hingewiesen, dass die schlechte Lage von Lehman Brothers schon im Sommer 2008 allgemein absehbar war. Das wird indes die Beweislast noch nicht zugunsten des Kunden umkehren. Die Zuverlässigkeit einer solchen Warnliste wäre in jedem Fall zu prüfen. Eine generelle Pflicht zur Beachtung aller so genannten Warnlisten gibt es nicht.
Ausnahmen mögen in zwei Richtungen gelten: Banken werden eine Schuld mit dem Hinweis ablehnen, dass sie sich auf die immer noch relativ gute Bewertung von Lehman Brothers Zertifikaten durch die Rating-Agenturen Standard&Poors und Moody´s verlassen haben. Eine signifikante Verschlechterung der Bewertung muss dann aber beim Anlageberater oder Anlagevermittler alle Alarmglocken schrillen lassen. Offenbar hat Standard&Poors schon seit März 2008 vor Lehman-Papieren gewarnt. Das wäre im Einzelfall zu prüfen. Moody´s hätte die Aktie auf „verkaufen“ gesetzt. Hier könnte ein erfolgversprechender Ansatz für Anleger bestehen, die seit dem Frühjahr 2008 in Lehman-Zertifikate investiert haben.
Andererseits ist zu hören, dass man bei einer Großbank wie Lehman Brothers schon allgemein mit einer Insolvenz rechnen müsse. Es gehöre zum Allgemeinwissen. Das würde die Banken entlasten. Wieso aber dann bei der Emission einer Lehman-Tochter auf den Niederländischen Antillen auf das besondere Risiko hingewiesen werden sollte, ist nicht verständlich. Wer erkennen kann, dass die Mutter kein gutes Risiko ist, sollte dazu erst recht bei der Tochter in der Lage sein. Zwingend ist diese Argumentation zugunsten der Banken nicht.
Aus Sicht des Verfassers wäre somit eine Empfehlung dieser Papiere ohne Risikohinweis spätestens ab April 2008 ein Fehler. In diesem Fall müsst die Bank sich entlasten. Der Kunde hätte gute Chancen, die Pflichtverletzung der Bank zu belegen.
Will die Bank auf das Risiko hingewiesen haben, so steht Aussage gegen Aussage. Dann liegt die Beweislast nach wie vor beim Anleger. Da oft auch kein Zeuge für das Beratungsgespräch zur Verfügung steht, könnte es helfen, den Anspruch abzutreten und selbst als Zeuge aufzutreten.
Ist die Pflichtverletzung einmal dargelegt, geht es um den aus der Pflichtverletzung resultierenden Schaden. Sind die Papiere wertlos – entscheidend ist bei Gericht der Tag der letzten mündlichen Verhandlung – was angesichts des Insolvenzverfahrens noch nicht abschließend gesagt werden kann, so liegt der Schaden im bezahlten und verlorenen Kaufpreis. Der Kunde könnte von der Bank verlangen, ihm den Kaufpreis gegen Abtretung seiner Ansprüche gegenüber Lehman zu erstatten.
Allerdings gilt auch hier eine Einschränkung: Gelingt es der Bank, Zweifel an der Kausalität zu säen, muss der Kunde wieder beweisen, dass er die Papiere bei ordnungsgemäßer Aufklärung über das Risiko nicht gekauft hätte.
Eine andere Möglichkeit der Rückabwicklung ergibt sich aus dem sog. Kick-back Urteil des Bundesgerichtshofes für die Anleger die nicht über die Provisionen aufgeklärt wurden (BGH XI ZR 349/99 v. 19.12.1999). So wird spekuliert, die Banken hätten ihre Kunden beim Kauf von Lehman-Zertifikaten nicht darüber aufgeklärt, wie viel sie selbst daran verdienten. Wenn die Banken die branchenüblichen versteckten Vertriebsprovisionen kassiert hatten, die müssen die Verkäufer die Anleger darüber aufklären. Diese Offenlegungspflicht bezweckt eine umfassende Wahrung der Kundeninteressen. Schließlich können Anleger nur aufgrund solcher Informationen einschätzen, ob eine Bank ihnen ein Produkt verkauft, weil es zu ihnen und ihrem Anlageziel passt, oder aus reinem Eigeninteresse.
Allerdings ist hier Wasser in den Wein des Anliegers zu gießen. Ein Schadensersatzanspruch besteht auch hier nur wenn und soweit die Verletzung der Aufklärungspflicht für die Anlageentscheidung und für die Höhe des Schadens ursächlich war.
Helfen kann dem Anleger eine Aufzeichnung der Beratung durch die Bank oder den Anlagevermittler. Insbesondere Telefonmitschnitte können erhellende Ergebnisse zeitigen. Verlangen Sie die Aufzeichnungen als Datei oder Abschriften davon. Wenn es solche Aufzeichnungen gibt, Bank oder Vermittler aber nichts herausgeben wollen, kann dies in einem Rechtsstreit als Beweisvereitelung die Position des Anlegers unterstützen. Eine Garantie für die erfolgreiche Durchsetzung eines Anspruchs ist aber auch das nicht.
Fazit: Wie in anderen Fällen scheinbar missglückter Anlageberatung ist auch bei einer Anlage in Lehman-Zertifikaten der Anleger in der ungünstigen Lage, dem Vermittler die Falschberatung und vor allem auch deren Ursächlichkeit für den entstandenen Schaden nachweisen zu müssen. Hier sollte ihm von den Beratern reiner Wein eingeschenkt werden.
Der Autor ist Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V.
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