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VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
"Junges Team" in Stellenanzeige und Entschädigung. Bezeichnung des Prozessgegners als "AGG-Hopper". Information aus AGG-Datenbank
Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 23.06.2010, Az. 5 Sa 14/10
1. Das Merkmal "junges Team" in einer Stellenanzeige stellt auch dann, wenn es unter der Überschrift "Wir bieten Ihnen" erfolgt, einen Verstoß gegen §§ 7, 11 AGG dar und kann wegen Altersdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG auslösen.
2. Die Bezeichnung des Gegners als "AGG-Hopper" in einem Verfahren nach dem AGG kann in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen und ist dann keine einen Entschädigungsanspruch auslösende Persönlichkeitsrechtsverletzung.
3. Die Einholung von Informationen über einen Prozessgegner bei einer Datenbank ist keine eine Entschädigung auslösende Persönlichkeitsrechtsverletzung, auch wenn der Anfragende seinerseits Daten über den Gegner zur Verfügung stellt.
Volltext:
http://www.rechtsprechung.hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?doc.id=JURE100068993&st=ent&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint
II.
Zum Auskunftsanspruch im Rahmen einer Klage auf Bonusgewährung nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 05.08.2010, Az. 10 SA 1574/08
1.Auskunftsansprüche können nach Treu und Glauben bestehen, wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann.
2.Der von einer Bonuszahlung ausgenommene Arbeitnehmer hat Anspruch auf Auskunft über die bei der Bonusgewährung verwendeten Regeln, wenn es möglich erscheint, dass er aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ebenfalls Bonuszahlung verlangen kann.
Volltext:
http://www.db-lag.niedersachsen.de/Entscheidung.asp?Ind=07000200800157410%20SA
III.
Ruhepause; Annahmeverzug; blue-pencil-Test; ergänzende Vertragsauslegung
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 03.08.2010, Az. 12 Sa 610/10
1.Behauptet der Arbeitgeber im Rahmen eines Streits um die Vergütung unstreitig von ihm angeordneter Arbeitsunterbrechungen, es habe sich um nicht vergütungspflichtige Ruhepausen gehandelt, muss er darlegen, dass diese im Voraus feststanden. Dabei spricht der Zweck der Ruhepause dafür, dass die Lage der Pause am Beginn des Arbeitstages zumindest rahmenmäßig festgestanden haben muss.
2.Ist in AGB geregelt, die Arbeitszeit des Mitarbeiters betrage „im monatlichen Durch-schnitt eine bestimmte Stundenzahl X, ohne dass ein Zeitraum vereinbart wird, in welchem dieser Durchschnitt erreicht werden muss, führt die zumindest teilweise Unwirksamkeit der Klausel dazu, dass eine feste Monatsstundenzahl X als vereinbart gilt. Dies ergibt sich, wenn nicht schon aus der Anwendung des blue-pencil-Testes, wenigstens aus einer ergänzenden Vertragsauslegung.
Volltext:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2010/12_Sa_610_10urteil20100803.html
IV.
Verjährung von Urlaubsansprüchen
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18.08.2010, Az. 12 Sa 650/10
1.Urlaubsansprüche verjähren in drei Jahren (entgegen BAG 11.04.2006 - 9 AZR 523/05 - Juris Rn. 37, 05.12.1995 - 9 AZR 666/94 - Juris Rn. 41).
2.Die Verjährungsfrist beginnt stets zum Schluss des Urlaubsjahres. a) Für Beginn und Lauf der Verjährungsfrist ist unerheblich, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig oder langandauernd arbeitsunfähig ist. Zur Verjährungshemmung lässt § 204 Nr. 1 BGB die Feststellungsklage genügen. b) Für den Verjährungsbeginn ist unmaßgeblich, ob ein fortdauernd arbeitsunfähiger Arbeitnehmer bis zum EuGH-Urteil vom 20.01.2009 - C 350/06 Schultz-Hoff - aufgrund der ständigen Rechtsprechung des BAG meinte, dass der jährlich erworbene Urlaubsanspruch infolge Befristung gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG untergehe. Das Vertrauen auf eine ständige Rechtsprechung ist weder im Allgemeinen (vgl. BVerfG 06.05.2008 - 2 BvR 1926/07 - Juris Rn. 29) noch im Anwendungsbereich der §§ 199 Abs. 1 Nr. 2, 206 BGB schutzwürdig (evtl. anders BGH 19.03.2008 - III ZR 220/07 - Juris Rn. 8). Zudem war, früher oder später, die Rechtsprechungsänderung vorhersehbar, nachdem sie in einen signifikanten Widerspruch zu Art. 7 der Richtlinie 104/93/EG = 2003/88/EG und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (26.06.2001 - C-173/99 BECTU -, 18.03. 2004 - C-342/01 Merino Gomez -) geraten war.
3.Die Aufrechnung "Brutto gegen Brutto" ist unzulässig (wie BAG 13.11.1980 - 5 AZR 572/78 - Juris Rn. 21) . Hinweis der Kammer: Zur unionsrechtlichen Problematik der Berechnung des Urlaubsentgelts (hier nicht entscheidungserheblich): Supreme Court UK, Vorlage vom 24.03.2010 - C-155/10 Williams ./. British Airways plc
Volltext:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2010/12_Sa_650_10urteil20100818.html
V.
Sozialauswahl und Weiterbeschäftigung im K.konzern
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 07.09.2010, Az. 26 Sa 50/10
1.Auf die Frage, ob die Servicemitarbeiter der verschiedenen Netzebenen (NE 2 einerseits - NE 3 und NE 4 andererseits) hinsichtlich der auszuübenden Tätigkeit vergleichbar beschäftigt waren, kam es im Ergebnis nicht an. Der Kläger hätte auch bei Einbeziehung der Servicemitarbeiter der NE 2 nicht zu den weiter zu beschäftigenden Mitarbeitern gehört.
2.Auch die im Innendienst als Disponenten/Planer beschäftigten Mitarbeiter der Beklagten waren in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen. Der Kläger war mit diesen Mitarbeitern schon deshalb nicht vergleichbar, weil die Beklagte ihm nach dem Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2000 Arbeitsaufgaben in diesem Bereich nicht ohne eine vorherige Änderung der Arbeitsbedingungen hätte zuweisen dürfen. Unabhängig davon hätte der Kläger auch bei Einbeziehung dieser Personengruppe zu den zu entlassenden Mitarbeitern gehört.
3.Bilden mehrere Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb, so ist die Sozialauswahl auf den gesamten Betrieb zu erstrecken. Die Einbeziehung von Arbeitnehmern eines anderen am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmens setzt aber ebenfalls ein entsprechendes Direktionsrecht des Arbeitgebers auf Zuweisung der durch diese ausgeübten Tätigkeit voraus (vgl. BAG 24. Februar 2005 - 2 AZR 214/04 - AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb = NZA 2005, 867 = EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 59, Rn. 22, 26, 28 der Gründe). Daran fehlte es hier hinsichtlich der Mitarbeiter der KDBS in den Bereichen PMC und NMC.
4.Zur Weiterbeschäftigungspflicht auf freien Arbeitsplätzen im Gemeinschaftsbetrieb und im Konzern.
Volltext:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/kaf/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE100070518%3Ajuris-r02&documentnumber=2&numberofresults=401&showdoccase=1&doc.part=L¶mfromHL=true#focuspoint
VI.
Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.09.2010, Az. 2 Sa 509/10
Leitsätze:
1.Vermögensstraftaten gegenüber dem Arbeitgeber sind als "wichtiger Grund" im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB "an sich" zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeignet. Die Wirksamkeit der Kündigung ist dann im Rahmen einer auf den Einzelfall bezogenen umfassenden Interessenabwägung zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BAG).
2.Den Hinweisen, die der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts ausweislich der Pressemitteilung in seiner nunmehrigen Entscheidung vom 10.06.2010 (BAG vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - "Pfandbon") für die diesbezüglich anzustellende Interessenabwägung gegeben hat, ist zu entnehmen, dass einer sehr langjährigen beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit und dem damit angesammelten Vertrauenskapital ein sehr hoher Wert im Rahmen der Interessenabwägung zukommt, so dass auch eine erhebliche Pflichtverletzung - jedenfalls im "Erstfalle" - nicht ohne weiteres zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen muss.
3.Dieser Gesichtspunkt, der im dortigen Fall bei einer erheblichen Pflichtwidrigkeit einer Kassiererin sogar im Kernbereich ihrer Tätigkeit an der Kasse zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führte, war im Streitfalle in noch höherem Maße zugunsten der seit 40 Jahren beschäftigten Klägerin zu berücksichtigen, die in einer besonderen Ausnahmesituation außerhalb des Kernbereichs ihrer Tätigkeit eine Betrugshandlung gegenüber dem Arbeitgeber mit einem Schadensbetrag von rd. 150,- € vorgenommen hatte.
Volltext:
http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/t/kaf/bs/10/page/sammlung.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE100070357%3Ajuris-r03&documentnumber=1&numberofresults=401&showdoccase=1&doc.part=L¶mfromHL=true#focuspoint
VII.
Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen durch einstweilige Verfügung wegen Verletzung der tariflichen Friedenspflicht; Verhältnis Firmen-/Verbandstarifvertrag; Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern (TV-N Bayern).
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 30.09.2010, Az. 5 Ta 135/10
1.Die örtliche Zuständigkeit eines Arbeitsgerichts für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Verletzung der tariflichen Friedenspflicht richtet sich nach dem Ort, an dem die Friedenspflicht zu erfüllen ist.
2.Hat das Arbeitsgericht ohne mündliche Verhandlung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden, so ergeht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über eine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde durch Endurteil, wenn im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
3.Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde im einstweiligen Verfügungsverfahren durch das Landesarbeitsgericht ergeht ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter.
4.Besteht neben einem Firmentarifvertrag ein Verbandstarifvertrag über denselben Regelungsgegenstand, kommt es innerhalb tarifgebundener Arbeitsverhältnisse zur Tarifkonkurrenz, welche nach dem Spezialitätsprinzip grundsätzlich durch einen Vorrang des Firmentarifvertrags aufgelöst wird (im Anschluss an BAG vom 04.04.2001 - 4 AZR 237/00 - AP Nr. 26 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz).
5.Haben Tarifvertragsparteien in einem Firmentarifvertrag Gegenstände geregelt, die zu den Hauptforderungen einer beim Abschluss des Firmentarifvertrags beteiligten Gewerkschaft gehören, die gegen einen Arbeitgeberverband gerichtet werden, dem der Arbeitgeber des Firmentarifvertrags angehört, so verstoßen die gegen diesen Arbeitgeber im Hinblick auf den Abschluss eines Verbandstarifvertrages eingeleiteten Arbeitskampfmaßnahmen gegen die aus dem ungekündigten Firmentarifvertrag resultierende tarifliche Friedenspflicht.
6.Die Verletzung der tariflichen Friedenspflicht und die Verfolgung rechtswidriger Ziele hat die Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks jedenfalls dann zur Folge, wenn es sich bei den die Friedenspflicht verletzenden Forderungen um Hauptforderungen handelt (im Anschluss an BAG vom 10.12.2002 - 1 AZR 96/02 - AP Nr. 162 zu Art. 9 GG Arbeitskampf).
7.Arbeitskampfmaßnahmen, die unter Verstoß gegen die tarifliche Friedenspflicht durchgeführt werden, können durch einstweilige Verfügung untersagt werden; der hierfür erforderliche Verfügungsgrund ist nur zu bejahen, wenn aufgrund einer um-fassenden Interessenabwägung schwerwiegende Interessen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung sprechen.
8.Die einstweilige Verfügung kann sich gegen eine gewerkschaftliche Dachorganisation ohne eigene Gewerkschaftsmitglieder richten, wenn diese Dachorganisation zum Streik aufruft.
9.Gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über eine sofortige Beschwerde im einstweiligen Verfügungsverfahren gibt es kein Rechtsmittel.
Volltext:
http://www.arbg.bayern.de/imperia/md/content/stmas/lag/nuernberg/entscheidungen/2010/10.pdf
VIII.
Verjährung und Verfall von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit
ArbG Ulm, Urteil vom 16.09.2010, Az. 5 Ca 563/09
1.Während der dauerhaften krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unterliegen Urlaubsansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis weder der gesetzlichen Verjährung noch der tariflichen Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVöD.
2.Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses als reiner Geldanspruch. Ab diesem Zeitpunkt unterliegt er der gesetzlichen Verjährung sowie der tariflichen Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TVöD.
Volltext:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2010&Seite=0&nr=13456&pos=2&anz=75
IX.
Persönliche Zulage nach dem Tarifvertrag über sozialverträgliche Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Bundeswehr vom 18.07.2001
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Urteil vom 15.09.2010, Az. 12 Sa 56/09
Hat ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis unter den Geltungsbereich des TVUmBw fällt, nach Gewährung einer persönlichen Zulage iSd § 6 TVUmBw eine Vereinbarung über eine befristete Herabsetzung seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit geschlossen, so erhöht sich die - aufgrund der Herabsetzung gekürzte - persönliche Zulage gemäß § 6 Abs. 4 TVUmBw nicht mehr entsprechend, wenn nach Befristungsablauf wieder die ursprüngliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gilt. § 6 Abs. 4 TVUmBw weist keine unbewusste Tariflücke auf, die von den Gerichten für Arbeitssachen geschlossen werden könnte.
Volltext:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2010&Seite=0&nr=13478&pos=3&anz=75
X.
Tarifvertragliche Öffnung für betriebliche Bündnisse für Arbeit
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 20.10.2010 , Az 4 AZR 105/09
Wenn Tarifvertragsparteien in einem Flächentarifvertrag vereinbaren, dass im Falle der begründeten Notwendigkeit abweichender betrieblicher Regelungen zu bestimmten, im Tarifvertrag aufgeführten Zwecken einer entsprechenden Betriebsvereinbarung über abweichende Arbeitsbedingungen von den Tarifvertragsparteien zugestimmt werden „soll“, und wenn die möglichen Abweichungen im Tarifvertrag selbst eingegrenzt sind, begründet dies bei Einhaltung dieser Kriterien eine tarifvertragliche Pflicht der Tarifvertragsparteien zur Erteilung der Zustimmung, wenn nicht gewichtige konkrete Anhaltspunkte im Einzelfall einer solchen Zustimmung entgegenstehen. Die Einhaltung dieser Pflicht kann von dem anderen Tarifvertragspartner geltend gemacht werden.
In einem regionalen Rahmentarifvertrag hatten die Tarifvertragsparteien ua. der Beton- und Fertigteilindustrie eine Öffnungsklausel für betriebliche Regelungen vereinbart. Danach sollte es ua. möglich sein, mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien durch eine Betriebsvereinbarung eine Veränderung der ansonsten festgelegten tariflichen Leistungen um insgesamt bis zu einem Bruttomonatsentgelt herbeizuführen. Für den Fall, dass dabei die hierzu weiter ergangenen tariflichen Bestimmungen eingehalten werden (ua. Begründung der Notwendigkeit anhand nachvollziehbarer Kriterien, beschäftigungssichernder und wettbewerbsverbessernder Zweck der Veränderung), bestimmte der Tarifvertrag, dass die Zustimmung erteilt werden „soll“. Im zu entscheidenden Fall hatte die Gewerkschaft einer solchen abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung versagt, und sich darauf berufen, dass ihr insoweit ein großer Ermessensspielraum zur Verfügung stehe, der von den Arbeitsgerichten nicht überprüft werden könne. Der Arbeitgeberverband hatte die Erteilung der Zustimmung vor den Gerichten für Arbeitssachen eingeklagt.
Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Arbeitgeberverband Recht gegeben und die Gewerkschaft verurteilt, der abweichenden Betriebsvereinbarung ihre Zustimmung zu erteilen. Die „Soll“-Bestimmung führt zu einer Zustimmungspflicht, wenn die Kriterien für die Betriebsvereinbarung eingehalten sind und der die Zustimmung verweigernden Tarifvertragspartei keine gewichtigen Gründe für ihre Weigerung zur Verfügung stehen.
Volltext:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2010&nr=14705&pos=0&anz=77
XI.
Kündigung eines Schwerbehinderten: Pflicht, innerhalb von 3 Wochen den Arbeitgeber über Schwerbehindertenantrag zu informieren
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.07.2010,Az. 1 Sa 403 e/09
Wusste der Arbeitgeber nichts von einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einem Neuantrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung, muss ihm der schwerbehinderte Arbeitnehmer dieses innerhalb von drei Wochen nach Erhalt einer Kündigung mitteilen. Geschieht dieses nicht, kann er sich nicht auf den besonderen Kündigungsschutz berufen. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 06.07.2010 entschieden (1 Sa 403 e/09).
Im Betrieb des Arbeitgebers kam es nach Vereinbarungen anhand eines Punkteschemas Ende 2008 zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste für Kündigungen. Auf ihr steht auch die Klägerin. Ihr war bereits früher ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 zuerkannt worden, was im Betrieb nicht bekannt und auch nicht offensichtlich war. Noch während der laufenden Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hatte sie einen neuen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderte gestellt, dieses aber nicht mitgeteilt.
Das geschah erstmalig mit der Kündigungsschutzklage, die zwar noch rechtzeitig bei Gericht einging, aber dem Arbeitgeber erst knapp vier Wochen nach Ausspruch der Kündigung zugestellt wurde. Kurze Zeit später wurde der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50 zugesprochen. Sie hat sich angesichts dessen auf den besonderen Kündigungsschutz sowie darauf zurückzuführende Fehler in der sozialen Auswahl berufen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die Klägerin habe ihrem Arbeitgeber zu spät Mitteilung von der beantragten Schwerbehinderteneigenschaft gemacht. Dieser habe erst nach Ablauf von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erfahren, dass ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung existiere. Das sei zu spät. Die Klägerin könne sich nun nicht mehr auf den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte und damit zusammenhängende Auswahlfehler berufen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Unter dem Aktenzeichen 2 AZR 463/10 wird beim Bundesarbeitsgericht das Revisionsverfahren geführt.
Volltext des Urteils:
http://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/unid/838704BC04656CEDC12577C4001B4FC9/$FILE/U_1Sa403e-09_06-07-2010.pdf
XII.
Nicht jede Beleidigung rechtfertigt immer eine außerordentliche Kündigung.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 08.04.2010, Az. 4 Sa 474/09
Wenn ein Kraftfahrer zu einem Kundenvertreter mehrfach „Arschloch“ sagt, rechtfertigt das nicht immer eine fristlose Kündigung. Die notwendige Einzelfallprüfung und Interessenabwägung kann zu dem Ergebnis führen, dass gleichwohl nur eine Abmahnung ausreicht. Dies hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 08.04.2010 entschieden (4 Sa 474/09).
Der Kläger war seit mehr als sechs Jahren als Kraftfahrer in einem Logistikzentrum tätig. Er hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach einen bestimmten Kunden über eine sehr enge Einfahrt mit einer sehr knapp bemessenen Durchfahrtshöhe unfallfrei beliefert. Bei einer solchen Anlieferung wurde er eines Tages von einer ihm unbekannten Person, letztendlich dem Liegenschaftsverwalter, nach der Bemerkung „Wie oft wollt ihr jetzt da oben noch gegen fahren?“ in gereiztem Ton aufgefordert, nicht weiter zu fahren. Nach seiner Antwort: „Ich liefere hier seit Jahren und jetzt aus dem Weg, du Arsch“ ergab sich ein Wortgefecht, in dem der Kläger sein Gegenüber noch mehrfach als „Arschloch“ bezeichnet hatte. Der Kläger hatte ihn für einen „Wichtigtuer“ gehalten. Der Arbeitgeber kündigte das bisher insoweit unbeanstandete Arbeitsverhältnis fristlos.
Das Landesarbeitsgericht sah ebenso wie bereits das Arbeitsgericht Neumünster keinen ausreichenden Kündigungsgrund. Danach stellt das grob beleidigende Verhalten des Klägers zwar grundsätzlich einen erheblichen Verstoß gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar. Auch wenn es die Geschäftsbeziehungen des Arbeitgebers gefährde, müsse hier zugunsten des Klägers jedoch berücksichtigt werden, dass er nicht gewusst habe, wer sein Gegenüber war und dass es sich um einen Repräsentanten des Kunden handelte. Auch habe er in der Vergangenheit die beengten Verhältnisse stets ohne Schäden gemeistert. Eine Abmahnung hätte hier ausgereicht, um eine Wiederholung des beanstandeten Arbeitnehmerverhaltens auszuschließen.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Volltext des Urteils:
http://www.sit.de/lagsh/ehome.nsf/unid/DC1E527D30B6A50CC12577490074EDAD/$FILE/U_4Sa474-09_08-04-2010.pdf
Die Urteile wurden von Rechtsanwalt Michael Henn zusammengestellt.
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Michael Henn
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