Oberlandesgericht Nürnberg: Keine Anklage gegen Polizeibeamte im Fall Tennessee Eisenberg
(Worms) Der Zweite Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat am 19.10.2010 entschieden, dass wegen der tödlichen Schüsse auf den Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg am 30.04.2009 keine Anklage gegen die beteiligten Polizeibeamten zu erheben ist. Ein mit diesem Ziel gestellter Antrag der Eltern des Getöteten wurde zurückgewiesen.
Wie zuvor bereits die Staatsanwaltschaft Regensburg und die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg kam der Senat dabei zu dem Ergebnis, dass die Beamten mit so hoher Wahrscheinlichkeit in Notwehr gehandelt haben, dass kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage geboten ist.
Darauf verweist der Münchner Fachanwalt für Strafrecht Dr. Reinhard Höß aus der Kanzlei Graf von Westphalen, Landesregionalleiter „Bayern" des VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Worms unter Hinweis auf eine entsprechende Mitteilung des Oberlandesgericht Nürnberg vom 21.10.2010 zum Beschluss vom 19.10.2010 - 2 Ws 227/10.
Nach den von der Staatsanwaltschaft Regensburg mit großem Aufwand geführten Ermittlungen war aus Sicht des Gerichts von dem folgenden Sachverhalt auszugehen:
Am 30.4.2009 ging bei der Polizei in Regensburg die Meldung ein, dass der später getötete Student Tennessee Eisenberg in seiner Wohnung in Regensburg einen Mitbewohner mit einem Messer bedroht und beinahe erstochen habe. Als sich mehrere Beamte gegen 11 Uhr an der Tür zur Wohnung von Tennessee Eisenberg im ersten Stock eines Hauses In Regensburg bemerkbar machten, trat ihnen Eisenberg mit einem 31 cm langen Küchenmesser entgegen. Die Beamten wichen vor dem auf sie zugehenden Studenten langsam über die Treppe nach unten zurück. Mehrfache Aufforderungen, das Messer wegzuwerfen, wurden von Tennessee Eisenberg ignoriert. Ein Einsatz von Pfefferspray blieb wirkungslos; der Versuch, ihm das Messer mit einem Schlagstock aus der Hand zu schlagen, misslang. Auf die Androhung des Schusswaffengebrauchs reagierte Tennesse Eisenberg nur mit der Aufforderung, auf ihn zu schießen. Im Erdgeschoss des verwinkelten und durch verschiedene Gegenstände verstellten Treppenhauses angekommen wandte sich Tennessee Eisenberg mit dem Messer in der Hand einem einzelnen Polizeibeamten zu, der sich in eine Nische zurückzog und ihm nicht mehr ausweichen konnte. In dieser Situation gaben zwei der im Flur stehenden Kollegen dieses Beamten nach einem erfolglosen Warnschuss zwei gezielte Schüsse auf Tennessee Eisenberg ab, die ihn an Knie und Oberarm trafen. Tennessee Eisenberg änderte daraufhin seine Richtung und ging nun mit dem Messer in der Hand auf die Polizeibeamten zu, die auf ihn geschossen hatten. Diese schossen weiter auf ihn und brachten ihm mehrere Körpertreffer bei. Gleichwohl näherte sich Tennessee Eisenberg einem Beamten weiter mit dem Messer an, der daraufhin nochmals auf ihn schoss. Bei dieser letzten nur noch von einem Beamten abgegebenen Serie von vier Schüssen wurde Tennessee Eisenberg im Bereich des Herzens getroffen und verstarb. Der Zeitraum zwischen dem ersten und dem letzten Schuss betrug maximal 30 Sekunden.
Nach Auffassung des Senats, so Dr. Höß, ist mit erheblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beamten im Fall einer Anklage für die von ihnen abgegebenen Schüsse nicht verurteilt werden könnten, weil nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten anzunehmen wäre, dass sie zunächst in Notwehr zugunsten ihres Kollegen und danach zum Schutz ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit gehandelt haben.
In Notwehr handelt, wer sich oder einen anderen gegen einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff mit den erforderlichen Mitteln verteidigt. Für den Senat steht außer Zweifel, dass von Tennessee Eisenberg eine erhebliche Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der eingesetzten Polizeibeamten ausging und deshalb ein durch ihn veranlasster rechtswidriger Angriff vorlag. Bei der Abgabe der ersten beiden Schüsse war dieser Angriff gegen die körperliche Unversehrtheit des Polizeibeamten in der Nische des Treppenhauses gerichtet. Da der Abstand zwischen dem bedrohten Beamten und Tennessee Eisenberg zu diesem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit nur 1,0 bis 2,0 Meter betrug und deshalb in Sekundenschnelle überwunden werden konnte, durften die Beamten ohne weiteres Zögern helfend eingreifen. Dabei waren Schüsse in Knie und Oberarm das einzige noch verbliebene Abwehrmittel, nachdem sich alle zuvor unternommenen Versuche, Tennessee Eisenberg zu überwältigen, als fruchtlos erwiesen hatten. Anschließend waren die schießenden Polizeibeamten selbst einem Angriff mit dem Messer auf ihre körperliche Unversehrtheit ausgesetzt. Da Tennessee Eisenberg in seiner Handlungsfähigkeit durch die bereits erlittenen Schussverletzungen nicht entscheidend eingeschränkt war, kamen nur weitere Schüsse als geeignetes Abwehrmittel in Betracht. Weil es Tennessee Eisenberg trotz einer weiteren Schussserie mit mehreren Körpertreffern gelungen war, sich mit dem Messer in der Hand einem der Beamten bis auf 1,0 bis 1,20 Metern anzunähern und diesem Beamten ein weiterer Rückzug ohne zusätzliche Gefährdung nicht mehr möglich war, durfte nochmals geschossen werden. Andere Abwehrmittel standen nicht mehr zur Verfügung.
Im Hinblick auf entsprechende Einwände der Antragsteller hat der Senat betont, so Dr. Höß, dass die Beamten nicht gehalten waren, eine waffenlose Überwältigung von Tennessee Eisenberg zu versuchen und sich dabei in den unmittelbaren Einwirkungsbereich des Messers zu begeben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich Tennessee Eisenberg möglicherweise in einem psychischen Ausnahmezustand befand. Ein Polizeibeamter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, bei der Verteidigung gegen einen Angriff auf sich oder andere nur deshalb Leib und Leben aufs Spiel setzen, weil die Verantwortlichkeit des Angreifers beschränkt ist. Die Auffassung der Antragsteller, die eingesetzten Beamten hätten durch ihr Eingreifen zu der Eskalation des Geschehens beigetragen, hat der Senat unter Hinweis auf die gesetzliche Verpflichtung der Polizei zur Abwehr von Gefahren zurückgewiesen.
Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts sieht die Strafprozessordnung kein Rechtsmittel mehr vor.
Dr. Höß riet, dies zu beachten sowie in allen strafrechtlich relevanten Fällen, unabhängig von diesem Fall, grundsätzlich so früh wie möglich ggfs. rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die auf Strafrecht spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in dem VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. - www.vdsra.de - verwies.
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Dr. Reinhard Höß
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Fachanwalt für Strafrecht
Landesregionalleiter Bayern
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