Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht bestätigt Unzulässigkeit der weiteren ...
(Worms) Der I. Strafsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat jeweils mit Beschluss vom 15. Juli 2010 in zwei Fällen die Beschwerden der Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht gegen Entscheidungen der 8. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lübeck vom 17. Juni 2010 verworfen, durch die die Sicherungsverwahrung in zwei Unterbringungssachen nach Ablauf von mehr als 10 Jahren für erledigt erklärt worden ist. Die Betroffenen sind daher aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen.
Darauf verweist der Lübecker Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht Christian Schumacher, Landesregonalleiter „Schleswig-Holstein" des VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf die Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 15. Juli 2010, Az. 1 OJs 2/10 (1 Ws 267/10) und 1 OJs 3/10 (1 Ws 268/10).
In dem einen Fall hatte das Landgericht Lübeck den Untergebrachten im Jahre 1994 wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Strafe aus dem Urteil hat der Untergebrachte bis Mai 1999 vollständig verbüßt. Seitdem befindet er sich in Sicherungsverwahrung. In dem anderen konkreten Fall wurde der Untergebrachte im Jahre 1990 durch Urteil des Landgerichts Lübeck wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Nach der damaligen Rechtslage war die Sicherungsverwahrung selbst bei Fortbestand der Gefährlichkeit des Untergebrachten auf 10 Jahre begrenzt (§ 67d Absatz 1 StGB alter Fassung). Im Jahre 1998 wurde das Gesetz geändert und die Zehnjahresfrist ist mit der Neufassung des § 67d Absatz 3 StGB entfallen. Aus diesem Grund hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem gleich gelagerten Fall, in dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung und die Anlasstat ebenfalls vor der Neufassung des § 67d Absatz 3 StGB lagen, die Fortdauer einer vor dem 31. Januar 1998 erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und damit als unvereinbar mit Art. 5 Absatz 1 (Recht auf Freiheit) und Art. 7 Absatz 1 (Rückwirkungsverbot) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angesehen.
Nach Erlass und Bekanntwerden der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht bei der örtlich zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lübeck beantragt, eine Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dahingehend zu treffen, dass diese auch im Lichte der Entscheidung des EGMR fortgesetzt werden dürfe. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer durch Beschluss vom 17. Juni 2010 abschlägig beschieden und in beiden Fällen die verhängte Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach Ablauf der Höchstfrist von 10 Jahren für erledigt erklärt. Zugleich hat die Strafvollstreckungskammer Dauer und Ausgestaltung der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht, so unter anderem durch Beiordnung eines Bewährungshelfers, geregelt.
Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft bei dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht Beschwerde eingelegt. Der I. Strafsenat hat die Beschwerden der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom heutigen Tage aus folgenden Gründen verworfen, so Fachanwalt Schumacher unter Hinweis auf die Mitteilung vom 15.07.2010:
Die Entscheidung des EGMR befasst sich mit zwei Vorschriften aus der EMRK, nämlich Art. 5 und 7 EMRK, die über ein entsprechendes Transformationsgesetz geltendes nationales deutsches Recht geworden sind, und zeigt dabei einen Maßstab für die Auslegung nationalen Rechts auf. Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt (§ 2 Absatz 6 StGB). Bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Absatz 6 StGB ist die Regelung des Art. 7 EMRK als gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Anwendung des Tatzeitrechts fordert. Entsprechend hält auch der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung (§ 66 b Absatz 3 StGB) eine mögliche Rückwirkung des § 2 Absatz 6 StGB auf „Altfälle" für konventionswidrig (Beschluss vom 12. Mai 2010, 4 StR 577/09).
Eine solche Auslegung des § 2 Absatz 6 StGB ist nicht etwa deshalb als „systemwidrig" zu bewerten, weil sie die Grenzen des Wortlauts der Bestimmung überschritte und dem Willen des Gesetzgebers widerspräche. Denn mit dem EGMR ist festzuhalten, dass die Sicherungsverwahrung zwar nach nationalem deutschem Sprachgebrauch als „Maßregel" eingeordnet wird, tatsächlich aber wie „Strafe" praktiziert wird und wirkt. Ein solches Verständnis des § 2 Absatz 6 StGB steht auch nicht der Intention des Gesetzgebers entgegen. Denn auch wenn diese zunächst darauf gerichtet gewesen sein mag, im Bereich des Maßregelvollzugs eine umfassende Rückwirkung unter Einbeziehung der „Altfälle" zu erreichen, bedeutet dies - insbesondere im Lichte der Auslegung der EMRK durch den EGMR - nicht, dass anzunehmen wäre, der nationale Gesetzgeber wolle sich dauerhaft konventionswidrig verhalten. Danach gilt in diesen Fällen nach wie vor der die Dauer der Sicherungsverwahrung auf 10 Jahre begrenzende § 67d Absatz 1 StGB in der bis 1998 geltenden Fassung.
Schumacher riet, in allen strafrechtlich relevanten Fällen ggfs. rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die auf Strafrecht spezialisierten Anwälte und Anwältinnen in dem VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. - www.vdsra.de - verwies.
Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:
Christian Schumacher
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht/
Fachanwalt für Steuerrecht
Landesregionalleiter „Schleswig-Holstein"
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