Nochmal fiktives Einkommen: Bundesverfassungsgericht bestätigt eingeschlagenen Kurs
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut - diesmal in einer Einzelfallentscheidung - entschieden, dass die Zurechnung fiktiver Einkünfte bzw. eines fiktiven Einkommens in Unterhaltsfragen nur rechtmäßig sei, wenn die angenommene und bloß unterstellte Verdienstmöglichkeit des Unterhaltsverpflichtetn auch tatsächlich objektiv besteht. Eine pauschal-abstrakte Betrachtung, wie von den unteren Gerichten oftmals angestellt, scheidet dagegen aus.
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr (Beschluss vom 15.02.2010) auf eine jüngste Verfassungsbeschwerde hin entschieden, dass bei der Ansetzung eines fiktiven Einkommens neben dem Fehlen von subjektiven Erwerbsbemühungen in jedem Fall konkret geprüft werden müsse, was der Unterhaltspflichtige objektiv überhaupt erzielen kann unter Zugrundelegung seines Alters, seiner beruflichen Qualifikation, seiner Erwerbsbiographie und seines Gesundheitszustandes und nicht zuletzt unter Berücksichtigung entsprechender Arbeitstellen am Arbeitsmarkt.
Im konkreten Fall ging es um die Erwerbsbemühungen eines 52-jährigen, ehemals selbständigen Gärtners, welcher auf Grund eines Unfalles bereits eine Unfallrente bezog und angesichts der Inanspruchnahme auf Mindestkindesunterhalt unter Darlegung seiner erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen behauptete, nicht mehr als 2 Stunden am Tag arbeiten zu können: damit aber sei ihm die Zahlung von dem Mindestkindesunterhalt nicht möglich.
Das Amtsgericht und das Brandenburgische Oberlandesgericht hatten den 52-jährigen noch zur Zahlung verurteilt: Der Unterhaltspflichtige habe nicht ausreichend genug dargetan, warum er auf Grund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage sei, zumindest den Mindestsatz an Kindesunterhalt erarbeiten zu können. Als ehemals selbständiger Gärtner könne er schließlich Angestellte einstellen, die ihm körperliche Arbeit abnehmen etc. So sei ihm in jedem Fall ein fiktives Einkommen anzurechnen in einer Höhe, die es ihm erlaubt, den Mindestkindesunterhalt zu zahlen (fiktives Einkommen).
Die Verfassungsrichter sahen dies aber anders; dies aus zweierlei Gründen:
• Der Gärtner habe seine körperlichen Einbußen hinreichend dargelegt, dies reiche aus, seine eingeschränkte Erwerbsmöglichkeit darzulegen. Wenn Amtsgericht und OLG dies hätten anders beurteilen wollen, hätte ein entsprechendes Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, um den Sachverhalt diesbezüglich zu klären. Der Vortrag des Gärtners sei jedenfalls hinreichend klar und ausreichend.
• Das Oberlandesgericht habe ferner keine Feststellung dazu getroffen, auf welcher Grundlage es zu der Auffassung gelangt ist, der 52-jährige könne mit seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seinem Gesundheitszustand entsprechenden Tätigkeit ein derartiges Bruttoeinkommen erzielen. Es sei aus der angegriffenen Entscheidung nicht zu erkennen, dass das Oberlandesgericht sich an den persönlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten des Beschwerdeführers und den tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt orientiert habe. Insbesondere habe das Oberlandesgericht ohne nähere Prüfung nicht auf die volle Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers in Höhe des titulierten Kindesunterhalts schließen dürfen.
Das Oberlandesgericht habe daher mit der Zurechnung fiktiver Einkünfte den ihm eingeräumten Entscheidungsspielraum überschritten.
Die Entscheidung zeigt 2 Dinge:
1. Ein Unterhaltspflichtiger muss lediglich konkret darlegen, warum er nach seiner Ansicht nach nicht zur vollen Erwerbstätigkeit in der Lage ist. Bei hinreichender Darlegung dieser Umstände muss das Gericht im Zweifelsfall eine Gutachten einholen, eine Entscheidung zu Lasten des Unterhaltsverpflichteten ohne nähere Überprüfung scheidet aus.
2. Ein pauschales Ansetzen von fiktivem Einkommen auf Grund mehr oder weniger abstrakter Erwägungen oder Annahmen ist zu verneinen: Es muss konkret geprüft werden - und das Gericht muss hier konkrete Feststellungen dazu treffen - wie der Unterhaltspflichtige gemessen an seinen persönlichen Voraussetzungen in Verbindung mit den objektiven Gegebenheiten am Arbeitsmarkt ein Einkommen erzielen können soll, was ihn in die Lage versetzt, den Mindestkindesunterhalt zu zahlen.
Fazit:
Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht nunmehr zum zweiten Mal in relativ kurzer Zeit, dass die pauschale Annahme von fiktivem Einkommen, womit die Amtsgerichte und Oberlandesgerichte immer wieder nur allzu gerne recht schnell bei der Hand sind, unrechtmäßig ist ohne konkrete Prüfung und Aufklärung der Frage, ob ein Unterhaltsverpflichteter überhaupt konkret und objektiv die ihm fiktiv unterstellten Einkünfte auch tatsächlich erzielen kann.
War diese Rechtsauffassung in der kürzlichen Entscheidung im Oktober 2009 noch im Rahmen einer abstrakten Rechtfragenerörterung geäußert worden, haben die Verfassungsrichter nunmehr auch im konkreten Einzelfall diese Ansicht nachhaltig bestätigt.
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