Besserer Schutz für „Whistleblower“?
Deutsche Anwalts- und
Steuerberatervereinigung
für die mittelständische
Wirtschaft e. V.
von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht Bernhard Steinkühler, Berlin
Spektakuläre Korruptionsfälle haben deutschen Konzernen sehr geschadet. Die Aufklärung von Wirtschaftskriminalität bleibt dennoch die Ausnahme. Es fehlt insbesondere an Arbeitnehmern, die illegale Praktiken in den Unternehmen entdecken und sie innerbetrieblich oder bei staatlichen Behörden zur Anzeige bringen. Mitarbeiter werden bereits deshalb von einer Verfolgung der Missstände abgeschreckt, weil sie selbst personelle Maßnahmen befürchten, wenn sie den Arbeitgeber oder leitende Angestellte anzeigen oder sich der Strafvorwurf als unzutreffend erweist. Eine Gesetzesinitiative soll sie nun besser schützen. Es soll den sogenannten „Whistleblowern“ erleichtert werden, zweifelhafte Praktiken in ihrem Unternehmen anzuzeigen.
1. Gesetzesänderung
Als Reaktion auf den „Gammelfleisch-Skandal“ plant die Bundesregierung eine Neufassung des § 612 a BGB. Das Verbraucherministerium geht davon aus, dass durch Anzeigen von Mitarbeitern hätte verhindert werden können, dass überlagertes Fleisch in den Handel gelangte und so zu Gesundheitsgefahren für den Verbraucher führte. Die Vorschrift des neuen § 612 a BGB soll dem Arbeitnehmer deshalb ein „Anzeigerecht“ zugestehen. Von der Gesetzesänderung wird eine klare und eindeutige Regelung im Bereich des Informantenschutzes erwartet. Die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer, die über gesetzeswidrige Praktiken in ihrem Betrieb informieren, soll verbessert werden. Es ist die Regelung beabsichtigt, dass ein Arbeitnehmer, der aufgrund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung ist, dass im Betrieb oder bei einer betrieblicher Tätigkeit gesetzliche Pflichten verletzt werden, sich an den Arbeitgeber oder an eine zur innerbetrieblichen Klärung zuständige Stelle wenden und Abhilfe verlangen darf. Kommt der Arbeitgeber dem Verlangen nach Abhilfe nicht oder nicht ausreichend nach, hat der Arbeitnehmer das Recht, sich an eine zuständige, außerbetriebliche Stelle zu wenden. Ein vorheriges Verlangen nach Abhilfe beim Arbeitgeber soll insbesondere nicht erforderlich sein, wenn aus dem Betrieb eine unmittelbare Gefahr für Leib oder Gesundheit von Menschen oder für die Umwelt droht, der Arbeitgeber oder ein anderer Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat oder eine Straftat geplant ist, durch deren Nichtanzeige der Arbeitnehmer sich selbst der Strafverfolgung aussetzen würde. Die Bundesregierung erhofft sich von der neuen Regelung eine häufigere Aufdeckung krimineller Delikte in den Unternehmen.
2. Bewertung
Es ist jedoch fraglich, ob der neue § 612 a BGB tatsächlich sein Ziel erreichen wird. Dabei ist schon problematisch, ob es überhaupt einer neuen gesetzlichen Regelung bedarf. Es besteht bereits eine umfangreiche Rechtsprechung, die „Whistleblowern“ Schutz gewährt. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der Entscheidung vom 02.07.2001 (1 BvR 2049/00 = NZA 2001, 888) festgestellt, dass die Aussage eines Arbeitnehmers in einem Ermittlungsverfahren gegen den Arbeitnehmers diesen nicht ohne Weiteres zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. Es müsse vielmehr berücksichtigt werden, dass es sich bei der Zeugenaussage um eine Staatsbürgerpflicht handelt. Demnach scheidet eine Pflichtverletzung aus, wenn der Arbeitnehmer nicht wissentlich unwahr oder leichtfertig unzutreffend gegen den Arbeitgeber aussagt. In einem Grundsatzurteil vom 03.07.2003 hat das Bundesarbeitsgericht diese Argumentation aufgenommen und Stellung zu der Frage einer verhaltensbedingte Kündigung wegen einer von einem Arbeitnehmer gegen seinen Vorgesetzten veranlassten Strafanzeige bezogen (vgl. BAG, NZA 2004, 427). Demnach verletzt ein Arbeitnehmer nicht per se seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er unternehmensexterne Stellen über Missstände im Unternehmen informiert. Die Anzeige des Arbeitnehmers kann aber im Einzelfall eine unverhältnismäßige Reaktion darstellen, insbesondere wenn es ihm zumutbar ist, den Vorwurf zunächst innerbetrieblich zu klären. Eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist daher generell gerechtfertigt, wenn die Anzeigenerstattung lediglich dem Zweck dient, den Arbeitgeber zu schädigen. Anderenfalls ist der Arbeitnehmer berechtigt, eine Pflichtverletzung sofort bei einer staatlichen Stelle anzuzeigen, wenn er sich durch die Nichtanzeige selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde oder eine schwerwiegende Straftat bzw. eine vom Arbeitgeber selbst begangene Straftat in Frage kommt.
Angesichts dieser Rechtsprechung muss bezweifelt werden, dass die Gerichte im Falle eines neuen § 612 a BGB den „Whistleblowern“ tatsächlich einen größeren Schutz als bisher gewähren werden. Es ist insbesondere sehr problematisch, dass für ein sofortiges (externes) Anzeigerecht nach der Gesetzesänderung irgendeine Straftat des Arbeitgebers oder eines Arbeitnehmers ausreichen soll, obwohl das BAG bislang zumindest eine „schwerwiegende“ Straftat gefordert hat. Durch die neue Vorschrift könnte deshalb die innerbetriebliche Aufklärung des Gesetzesverstoßes zur Ausnahme werden. Eine erhebliche Belastung der Vertrauensbasis innerhalb eines Betriebes droht, wenn jeder Vorfall bei den Ermittlungsbehörden angezeigt werden darf.
3. Ausblick
Es ist deshalb davon auszugehen, dass auch die beabsichtigte neue Vorschrift keine abschließende Rechtssicherheit für „Whistleblower“ bringen wird. Es bleibt eine erhebliche Unsicherheit, wann der Arbeitnehmer davon ausgehen kann, sich an Ermittlungsbehörden außerhalb des Unternehmens wenden zu dürfen. Arbeitgeber werden daher auch in Zukunft gut beraten sein, organisatorische Maßnahmen und Verhaltensrichtlinien festzulegen, durch die der Mitarbeiter zu einem „Whistleblowing“ motiviert wird. Das Vertrauen der Arbeitnehmer in eine hinreichende Verfolgung von Straftaten kann insbesondere durch Einführung eines umfangreichen Compliance-Systems gestärkt werden. Sinnvolle Maßnahmen können die Einführung von Verhaltensrichtlinien oder einer unternehmensinternen Stelle sein, an die sich Arbeitnehmer vertraulich – auch anonym – wenden können, wenn sie von Missständen erfahren. Speziell in Großunternehmen werden deshalb vermehrt sogenannte „Whistleblower-Hotlines“ eingerichtet, an die Hinweisgeber Informationen weitergeben können, ohne Nachteile wegen der Meldung erwarten zu müssen. Es ist jedoch zu beachten, dass der Betriebsrat bei der Einführung derartiger Maßnahmen nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat.
Der Autor ist Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V.
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Bernhard Steinkühler
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Steinkühler
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