Privatgutachten und Beweiserhebung
Bei einem Privatgutachten handelt es sich um Parteivortrag. Wenn der Gegner die Richtigkeit des Privatgutachtens bestreitet, muss das Gericht Beweis erheben.
BGH, Urt. v. 08.07.2009 - VIII ZR 314/07
Bei einem Privatgutachten handelt es sich um Parteivortrag. Wenn der Gegner die
Richtigkeit des Privatgutachtens bestreitet, muss das Gericht Beweis erheben.
BGH, Urt. v. 08.07.2009 - VIII ZR 314/07
Siehe gelbe Markierung
Leitsatz
Eine Beweiserhebung (hier: durch Zeugenvernehmung) ist nicht deshalb entbehrlich,
weil die unter Beweis gestellten Tatsachen durch ein Privatgutachten belegt sind,
dessen Richtigkeit der Gegner bestreitet, ohne die Unzulänglichkeit des Gutachtens
substantiiert darzulegen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die von der
Beklagten einseitig vorgenommen wurden. Die in D. wohnenden Kläger bezogen als
Tarifkunden Erdgas von der Beklagten, einem kommunalen Versorgungsunternehmen,
das zum Zeitpunkt der streitigen Preiserhöhungen als einziges Unternehmen
Privathaushalten im Stadtgebiet D. die leitungsgebundene Lieferung von Erdgas
anbot.
2
Die Beklagte erhöhte den Arbeitspreis für Erdgas im Heizgastarif zum 1. Oktober
2004 von 3,18 Cent/kWh auf 3,58 Cent/kWh, zum 1. Oktober 2005 auf 4,16
Cent/kWh und zum 1. Januar 2006 auf 4,52 Cent/kWh (jeweils zuzüglich
Mehrwertsteuer). Die Kläger widersprachen der Preiserhöhung.
3
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Feststellung begehrt, dass die von der Beklagten
im dem zwischen den Parteien geschlossenen Gaslieferungsvertrag zum 1. Oktober
2004, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 vorgenommenen Erhöhungen des
Arbeitspreises Erdgas unbillig und unwirksam seien. Die Beklagte hat
Klageabweisung, hilfsweise die Bestimmung des zwischen den Parteien geltenden
Arbeitspreises Erdgas zum 1. Oktober 2004 und 1. Oktober 2005 beantragt. Das
Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, mangels Darlegung der
Preiskalkulation der Beklagten könne es auch deren Hilfsantrag nicht entsprechen. Auf
die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landgericht die
Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die
Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen
ausgeführt:
6
Das Feststellungsbegehren der Kläger sei zulässig, aber unbegründet. Die von der
Beklagten festgesetzten Gaspreise unterlägen in - zumindest entsprechender -
Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Billigkeitskontrolle, die
stattfinde, wenn einer Vertragspartei ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt sei;
ein solches Leistungsbestimmungsrecht ergebe sich aus § 4 AVBGasV. Die streitigen
Preiserhöhungen hätten noch unter den in den fraglichen Zeiträumen liegenden
Bezugskostensteigerungen gelegen und hätten sich im Preisvergleich mit anderen
Gasversorgern im Bundesgebiet als durchaus marktüblich erwiesen, so dass die
erfolgten Erhöhungen im Entscheidungsrahmen der Beklagten noch den
Billigkeitsgrundsätzen des § 315 Abs. 3 BGB entsprochen hätten.
7
Im Rahmen der Billigkeitsprüfung des § 315 Abs. 3 BGB sei anerkannt, dass
jedenfalls die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die Tarifkunden im
Grundsatz der Billigkeit entspreche. Vorliegend habe die Beklagte zu den
Bezugskostensteigerungen, die den Preiserhöhungen zum 1. Oktober 2004, 1. Oktober
2005 und 1. Januar 2006 zu Grunde lägen, dezidiert vorgetragen und ihre
Bezugskostensteigerungen durch Vorlage eines entsprechenden
Wirtschaftsprüfungsberichts unabhängiger Wirtschaftsprüfer nachgewiesen. Die
Bescheinigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über die Preisentwicklung in der
Zeit vom 1. Januar 2004 bis 1. Oktober 2007 vermöge durchaus darzulegen und zu
beweisen, dass eine entsprechende Bezugskostensteigerung stattgefunden habe. Das
Wirtschaftsprüfungsunternehmen habe klargestellt, auf der Basis welcher vorgelegten
Verträge, insbesondere der Erdgaslieferverträge, und Buchungsbelege die Prüfung
erfolgt sei. Warum diese Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollten beziehungsweise
welche weiteren Unterlagen sie für erforderlich gehalten hätten, sei von den Klägern
nicht substantiiert dargelegt worden. Das pauschale Bestreiten der ermittelten
Ergebnisse sei in diesem Zusammenhang daher nicht beachtlich. Es bestehe keine
Verpflichtung der Beklagten, ihre gesamten betriebswirtschaftlichen Unterlagen,
insbesondere die Kalkulation des Gesamtpreises, offen zu legen.
8
Aus den vorgelegten Preisvergleichen zum 1. Januar 2005, 1. Januar 2006 und 1.
Januar 2007 ergebe sich für die Beklagte, dass sie im Vergleich zwischen rund 600
Gasversorgungsunternehmen im Bundesgebiet mit dem für sie ermittelten
Gaspreisindex jeweils auch im Landesdurchschnitt im Mittelfeld der Anbieter
angesiedelt sei. Insoweit habe die Beklagte durch die Vorlage dieser unbestrittenen
Preisvergleiche zudem nachgewiesen, dass ihr Preis als marktüblich anzusehen sei.
Damit entspreche der von der Beklagten verlangte Gaspreis dem regelmäßig für
vergleichbare Leistungen auf dem Markt verlangten Entgelt. Die verlangten
Preiserhöhungen lägen also im Rahmen des Marktüblichen. Auch unter diesem
Gesichtspunkt bewege sich die Beklagte mit den von ihr verlangten Erhöhungen im
Rahmen des ihr durch § 315 BGB eingeräumten Entscheidungsspielraumes.
9
Auch der Umstand, dass der von der Beklagten an ihre Lieferanten zu zahlende
Gaspreis an den Preis für leichtes Heizöl gekoppelt sei, lasse die streitigen
Preiserhöhungen nicht als unbillig im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB erscheinen.
Entspreche der einseitig bestimmte Preis - wie hier - für sich genommen der Billigkeit,
so könne die nur für das Vertragsverhältnis zwischen der die Leistung bestimmenden
und der dieser Bestimmung unterworfenen Partei geltende Regelung des § 315 BGB
nicht herangezogen werden, um auch die auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette
vereinbarten Preise einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
10
Schließlich seien die Preiserhöhungen nicht deshalb unbillig, weil etwa die bereits vor
der Preiserhöhung geforderten Tarife der Beklagten unbillig überhöht gewesen wären.
Voraussetzung für die Berücksichtigung auch des Sockeltarifs bei der Entscheidung
über die Billigkeit der Preiserhöhungen sei, dass es sich auch insoweit um Tarife
handele, die von der Beklagten einseitig nach billigem Ermessen zu bestimmen
gewesen seien. Eine Überprüfung auch der bis zum 1. Oktober 2004 geltenden Tarife
komme somit nicht in Betracht, weil es sich um vereinbarte Preise gehandelt habe.
11
Auch eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB scheide aus. Es fehle insoweit
an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden
Anwendung des § 315 BGB. Zwar möge die Beklagte im Einzugsbereich von
leitungsgebundener Versorgung mit Gas keinen unmittelbaren Wettbewerber gehabt
haben; sie habe aber - wie alle Gasversorgungsunternehmen - auf dem Wärmemarkt in
einem Substitutionswettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie
Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme gestanden.
II.
12
Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Mit
der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die von den Klägern geltend
gemachte Unbilligkeit der streitigen Gaspreiserhöhungen nicht verneint werden.
13
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage für zulässig gehalten. Insbesondere
haben die Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der
Gaspreiserhöhungen (§ 256 Abs. 1 ZPO). Auf eine Leistungsklage können sie schon
deshalb nicht verwiesen werden, weil das Rechtsschutzziel der hier gegebenen
negativen Feststellungsklage mit einer Leistungsklage nicht erreicht werden kann
(BGHZ 172, 315, Tz. 10).
14
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht die streitigen Erhöhungen der Gastarife einer
Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB unterzogen. Die Vorschrift findet
Anwendung, denn mit den einseitig vorgenommenen Tariferhöhungen auf der
Grundlage von § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für
die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV vom 21. Juni 1979, BGBl. I S. 676),
die auf den Streitfall noch anzuwenden ist, hat die Beklagte von einem ihr
zustehenden Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB Gebrauch
gemacht (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 13, 17; Senatsurteil vom 19. November 2008 -
VIII ZR 138/07, NJW2009, 502, zur Veröffentlichung in BGHZ 178, 362 vorgesehen,
Tz. 26).
15
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht nur die von der Beklagten zum 1. Oktober
2004, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 vorgenommenen Tariferhöhungen, denen
die Kläger widersprochen hatten, einer Billigkeitskontrolle unterzogen. Entgegen der
Auffassung der Revision erfasst die Billigkeitskontrolle im Streitfall nicht den
gesamten von der Beklagten in Rechnung gestellten Gastarif einschließlich des
Preissockels, der durch die Tarife gebildet wird, die vor dem 1. Oktober 2004 gegolten
haben. Eine Preiserhöhung kann zwar auch deshalb der Billigkeit widersprechen, weil
die bereits zuvor geltenden Tarife des Gasversorgers unbillig überhöht waren. Das gilt
jedoch nicht, wenn die Preise bis zu der streitgegenständlichen Preiserhöhung von
dem Versorger nicht einseitig festgesetzt, sondern zwischen den Parteien vereinbart
worden sind (BGHZ 172, 315, Tz. 28 f.; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO,
Tz. 15). Um solche - vereinbarte - Preise handelt es sich im Verhältnis zwischen den
Parteien bei den bis zum 30. September 2004 geltenden Tarifen.
16
Vertraglich vereinbart haben die Parteien hier zunächst den bei Abschluss des
Gasversorgungsvertrages von der Beklagten geforderten Preis, auch wenn es sich bei
diesem Preis um den allgemeinen Tarif der Beklagten für die leitungsgebundene
Versorgung mit Gas handelte. Soweit die Beklagte in der Folgezeit gemäß § 4 Abs. 1
und 2 AVBGasV einseitig Preiserhöhungen vorgenommen hat, haben die Kläger die
auf diesen Tarifen basierenden Jahresrechnungen unbeanstandet hingenommen. Indem
sie weiterhin Gas bezogen haben, ohne in angemessener Zeit eine Überprüfung der
Billigkeit etwaiger Preiserhöhungen nach § 315 BGB zu verlangen, ist entgegen der
Auffassung der Revision auch über die von der Beklagten vor dem 1. Oktober 2004
geforderten - gegenüber dem bei Vertragsschluss geltenden allgemeinen Tarif
erhöhten - Preise konkludent eine vertragliche Einigung der Parteien zustande
gekommen (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 36; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO,
Tz. 16).
17
b) Für eine Billigkeitskontrolle der von den Parteien bei Vertragsschluss oder später
vereinbarten Preise in entsprechender Anwendung von § 315 BGB wegen einer
Monopolstellung der Beklagten ist kein Raum. Allerdings stand den Klägern nach den
Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das Berufungsgericht gemäß § 540 Abs. 1 Nr.
1 ZPO Bezug genommen hat, im maßgeblichen Zeitraum ein anderer Gasanbieter
nicht zur Verfügung. Die Beklagte war deshalb auf dem für die kartellrechtliche
Beurteilung sachlich und räumlich relevanten Gasversorgungsmarkt
marktbeherrschend (vgl. BGHZ 176, 244, Tz. 12; BGHZ 151, 274, 282). Gleichwohl
ist eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB nach der zu dieser Vorschrift
entwickelten "Monopolrechtsprechung" (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 33 m.w.N.) nicht
gerechtfertigt. Einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle von allgemeinen Tarifen
(Preisen) eines Gasversorgungsunternehmens in analoger Anwendung von § 315 Abs.
3 BGB steht entgegen, dass sie der Intention des Gesetzgebers zuwider liefe, der eine
staatliche Prüfung und Genehmigung dieser Tarife wiederholt abgelehnt hat. Auch bei
der gerichtlichen Kontrolle der Billigkeit der Tariffestsetzung fände für das betroffene
Gasversorgungsunternehmen eine Preisregulierung statt, wenn der Tarif nach
Auffassung des Gerichts unbillig überhöht und deshalb durch Urteil zu bestimmen
wäre (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 17 - 23).
18
3. Die tatrichterlichen Ausführungen zur Anwendung von § 315 BGB im konkreten
Fall können vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das
Berufungsgericht den Begriff der Billigkeit verkannt, ob es die gesetzlichen Grenzen
seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat und ob es von
einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm den Zugang zu einer
fehlerfreien Ermessensentscheidung versperrt hat (BGHZ 172, 315, Tz. 20;
Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 28). Im Streitfall ist bereits die
Feststellung der für die Ermessensausübung erheblichen Tatsachen durch das
Berufungsgericht - wie die Revision mit Recht rügt (vgl. dazu Senatsurteil vom 16.
Oktober 1991 - VIII ZR 140/90, WM 1992, 32, unter II 1 b cc) - von Rechtsfehlern
beeinflusst.
19
a) Das Berufungsgericht hat allerdings die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die
streitigen Preiserhöhungen der Billigkeit entsprechen, zutreffend der Beklagten als
derjenigen auferlegt, die die Leistungsbestimmung gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach
billigem Ermessen zu treffen hat (Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 28
m.w.N.).
20
Mit Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Billigkeit bei einer
bloßen Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten, wie sie die Beklagte hier geltend
macht, grundsätzlich zu bejahen ist (BGHZ 172, 315, Tz. 21 f.; Senatsurteil vom 19.
November 2008, aaO, Tz. 30). Die Beklagte hat dazu behauptet, die Steigerungen
ihrer eigenen Bezugskosten nicht in vollem Umfang an ihre Kunden weitergegeben zu
haben. Sie sei aufgrund einer langjährigen Bezugsverpflichtung an die Vorlieferantin
s. AG gebunden; der an die Vorlieferantin zu zahlende Gaspreis sei an die
Preisentwicklung des Ölpreises gekoppelt. Aufgrund dessen sei ihr Bezugspreis wie
folgt gestiegen (jeweils bezogen auf den Bezugspreis vom 1. Januar 2004): Am 1.
April 2004 um 0,06 Cent/kWh, am 1. Oktober 2004 um 0,14 Cent/kWh, am 1. Januar
2005 um 0,41 Cent/kWh, am 1. April 2005 um 0,71 Cent/kWh, am 1. Juli 2005 um
0,79 Cent/kWh, am 1. Oktober 2005 um 0,90 Cent/kWh und am 1. Januar 2006 um
1,33 Cent/kWh. Demgegenüber habe sie den Tarifpreis in diesem Zeitraum (bezogen
auf den Preis vom 1. Januar 2004; ohne Berücksichtigung einer zum 1. April 2004
erfolgten Preissenkung um 0,1 Cent/kWh) nur am 1. Oktober 2004 um 0,30
Cent/kWh, am 1. Oktober 2005 um 0,85 Cent/kWh und am 1. Januar 2006 um 1,24
Cent/kWh erhöht.Zur Substantiierung ihres Vortrags hat die Beklagte eine Bestätigung
einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgelegt.
21
aa) Damit hat die Beklagte den Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer
Bezugskostensteigerung als Grundlage einer im Sinne von § 315 BGB billigem
Ermessen entsprechenden Preiserhöhung genügt. Entgegen der Auffassung der
Revision bedurfte es nicht der Offenlegung sämtlicher Unterlagen, insbesondere der
Kalkulation des Gesamtpreises. Auch auf die absolute Höhe der von dem
Energieversorgungsunternehmen mit seinem Vorlieferanten vereinbarten und von ihm
gezahlten Bezugspreise kommt es für das Vorliegen einer Bezugskostensteigerung in
einem bestimmten Zeitraum und für die sich daran anknüpfende Beurteilung der
Billigkeit einer Preiserhöhung gegenüber dem Abnehmer nach § 315 BGB nicht
unmittelbar an. Ob die Preisänderungsklausel im Vorlieferantenverhältnis richtig
angewandt, das heißt, die Bezugskostensteigerung danach zutreffend berechnet wurde,
ist keine Rechtsfrage, für deren Beantwortung der Tatrichter die Ausgangspreise
kennen und die Preisänderungsklausel selbst auslegen und anwenden müsste, sondern
eine tatsächliche Frage, die er im Wege der Beweisaufnahme klären kann (vgl.
Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 36).
22
Die Beklagte hat auch in zulässiger Weise (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008,
aaO, Tz. 37 f.) Beweis für die dargelegte Bezugskostensteigerungen durch die
Benennung eines ihrer Mitarbeiter sowie des Wirtschaftsprüfers, der die genannte
Bestätigung unterzeichnet hat, als Zeugen angetreten. Allerdings vermag die
Wirtschaftsprüferbestätigung als solche, anders als das Berufungsgericht meint, die
Bezugskostensteigerungen nicht zu beweisen. Die Bestätigung ist einem
Privatgutachten vergleichbar, bei dem es sich um Parteivortrag, nicht um ein
Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt. Die Bezugnahme des Gerichts auf
eine als Parteivortrag zu behandelnde Bestätigung zu bestrittenen Tatsachen kann
nicht dessen eigene Überzeugungsbildung durch Erhebung der angebotenen Beweise
(hier: Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen) ersetzen (vgl. auch
BVerfGE 91, 176, 181 ff.; BGHZ 116, 47, 58).
23
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger, wie die
Revision mit Recht geltend macht, den Vortrag der Beklagten zu den
Bezugskostensteigerungen einschließlich des Inhalts der Bestätigung der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in prozessual ausreichender Weise bestritten. Eine
Partei darf sich über Tatsachen, die - wie hier die Entwicklung der Bezugskosten der
Beklagten für die Kläger - nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen
sind, nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären. Sie ist grundsätzlich nicht
verpflichtet, diese Tatsachen zu überprüfen, um sich näher zu ihnen äußern zu können.
Eine so genannte sekundäre Behauptungslast, bei der die primär darlegungsbelastete
Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und es deshalb dem
Prozessgegner ausnahmsweise zumutbar ist, sich die benötigten Informationen zu
verschaffen, kommt im Streitfall von vornherein nicht in Betracht, weil die primär
darlegungsbelastete Beklagte die maßgeblichen Tatsachen aus eigener Anschauung
kennt (vgl. Senatsurteil vom 20. September 2006 - VIII ZR 127/04, juris, Tz. 14
m.w.N.). Die Kläger mussten daher nicht weiter substantiiert darlegen, warum die in
der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft benannten Unterlagen nicht
aussagekräftig sein sollen und welche weiteren Unterlagen sie für erforderlich hielten.
Die Klage hätte mithin nicht ohne Beweisaufnahme über die von der Beklagten
behaupteten Bezugskostensteigerungen abgewiesen werden dürfen.
24
b) Mit Recht beanstandet die Revision ferner die Würdigung des Berufungsgerichts,
die Beklagte bewege sich mit den von ihr verlangten Erhöhungen im Rahmen des ihr
durch § 315 BGB eingeräumten Ermessensspielraums, weil die Preiserhöhungen im
Rahmen des Marktüblichen lägen. Dabei kann offen bleiben, ob die
Billigkeitskontrolle einer einseitigen Preiserhöhung nach § 315 BGB auf der Basis
eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Versorgungsunternehmen erfolgen kann.
Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an geeigneten Vergleichspreisen.
25
Ein Marktpreis auf dem regionalen Gasversorgungsmarkt, den die Beklagte bedient,
scheidet als Vergleichsmaßstab von vornherein aus, weil die Beklagte in dem hier
maßgeblichen Zeitraum die alleinige Anbieterin leitungsgebundener Versorgung mit
Erdgas war. Auch eine Beurteilung der Billigkeit der Preiserhöhung der Beklagten
unter Heranziehung des Vergleichsmarktkonzeptes im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 2
Halbs. 2 GWB kommt nicht in Betracht. Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Vergleich zwischen rund 600
Gasversorgungsunternehmen im Bundesgebiet mit dem für sie ermittelten
Gaspreisindex - jeweils auch im Landesdurchschnitt - im Mittelfeld der Anbieter
angesiedelt ist. Denn es fehlt an Feststellungen dazu, inwiefern die in den Vergleich
einbezogenen Versorgungsunternehmen mit der Beklagten und insbesondere die
Räume, in denen diese ihre Leistungen anbieten, mit dem von der Beklagten
versorgten Gebiet vergleichbar sind (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO,
Tz. 48 - 51).
26
c) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings ausgeführt, dass die nur für das
Vertragsverhältnis zwischen der die Leistung bestimmenden und der dieser
Bestimmung unterworfenen Partei geltende Regelung des § 315 BGB nicht
herangezogen werden kann, um auch die auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette
vereinbarten Preise einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen (BGHZ 172, 315, Tz.
27).
27
Das schließt indessen nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher
Kostensteigerungen im Verhältnis zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die der
Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen
Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung aus
betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach
§ 4 AVBGasV kann nicht dazu dienen, dass das Energieversorgungsunternehmen zu
beliebigen Preisen einkauft, ohne günstigere Beschaffungsalternativen zu prüfen, und
im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und
Preissteigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den
Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist
(Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 43 m.w.N.).
28
Dafür, dass es sich bei den von der Beklagten geltend gemachten
Bezugskostensteigerungen um im vorgenannten Sinne "unnötige" Kosten handelt,
ergeben sich aber keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Wenn sich die Beklagte, wie
sie vorträgt, als kommunales Gasversorgungsunternehmen mit geringer
Nachfragemacht der - branchenüblichen - Ölpreisbindung nicht entziehen konnte,
scheidet die Möglichkeit eines Gasbezugs ohne eine solche Preisbindung als
günstigere Beschaffungsalternative aus, sofern eine solche nach den
Marktgegebenheiten überhaupt besteht. Ob die Ölpreisbindung in dem
Vorlieferantenverhältnis korrekt umgesetzt worden ist, die Beklagte die von ihr
geltende gemachte Preiserhöhung durch den Vorlieferanten nach den Bezugsverträgen
also tatsächlich schuldete, wird im Rahmen der Beweisaufnahme über die von der
Beklagten behauptete Bezugskostensteigerung zu klären sein (vgl. Senatsurteil vom
19. November 2008, aaO, Tz. 44).
III.
29
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Da es weiterer tatsächlicher Feststellungen zur Erhöhung des
Bezugspreises für die Beklagte und gegebenenfalls zur Entwicklung ihrer sonstigen
Kosten der Gasversorgung bedarf, ist die Sache zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
30
1. Es ist offen, ob die von der Beklagten angebotene Beweisführung ausreichen wird,
um die Überzeugung des Tatrichters von einer Bezugskostensteigerung in dem von der
Beklagten behaupteten Umfang zu begründen (§ 286 ZPO). Sollte es im weiteren
Verlauf des Rechtsstreits - beispielsweise aufgrund eines von der Beklagten
angebotenen Sachverständigenbeweises - darauf ankommen, macht die Revision
allerdings ohne Erfolg geltend, die Beklagte müsse im Rechtsstreit uneingeschränkt
ihre gesamte Kalkulation offen legen. Das hängt vielmehr davon ab, bezüglich
welcher Daten im Einzelnen ein geschütztes Interesse der Beklagten an der
Geheimhaltung gegenüber dem Gericht, einem Sachverständigen, den Klägern oder
der Öffentlichkeit besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter
Berücksichtigung der Ergebnisse der beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche
geschützten Daten einem Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten.
Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten,
bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten
hätte.
31
Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten offen legen,
an denen sie ein geschütztes Geheimhaltungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer
Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Schutz von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen weitestgehenden Ausgleich
gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen
Möglichkeiten des Ausschlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d
Nr. 2 StGB) - Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr.
2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurteil vom
19. November 2008, aaO, Tz. 47 m.w.N.).
32
Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich dem nicht entgegenhalten, die
Beklagte sei nicht grundrechtsfähig, weil sie zu 100 Prozent der Stadt D. gehöre.
Selbst wenn die Beklagte sich nicht auf die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG
berufen könnte (vgl. dazu BVerfG, NJW1990, 1783 m.w.N.), bedeutete das nicht,
dass ihr Interesse an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im
Sinne des § 172 Nr. 2 GVG von vornherein außer Betracht zu bleiben hätte. Denn das
vorstehend dargestellte Gebot der Abwägung und des Ausgleichs zwischen dem Gebot
effektiven Rechtsschutzes und dem Geheimnisschutz erfasst das rechtliche Interesse
am Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unabhängig davon, ob dieses
auch verfassungsrechtlich abgesichert ist (vgl. BVerwGE 90, 96, 101 zur
Berücksichtigung der Belange einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin in der
abfallrechtlichen Planfeststellung).
33
Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings
unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen
Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26; Senatsurteil vom 19.
November 2008, aaO, Tz. 39). Auf diesen Gesichtspunkt sind die Parteien bisher nicht
eingegangen.
34
2. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die Preiserhöhungen
nicht der Billigkeit entsprechen, ist der Hilfsantrag der Beklagten auf Bestimmung des
zwischen den Parteien geltenden Arbeitspreises Erdgas zum 1. Oktober 2004 und 1.
Oktober 2005 zu berücksichtigen.
35
Eine gegebenenfalls dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs vorbehaltene
Stellungnahme zu der von den Klägern aufgeworfenen Frage eines etwaigen
Preismissbrauchs der Beklagten (§ 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB) ist im gegenwärtigen
Verfahrensstadium nicht veranlasst.
Ball Dr. Frellesen Dr. Achilles
Dr. Hessel Dr. Schneider
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