Kein Wertersatz für die Nutzung einer Sache während der Widerrufsfrist
EIN VERBRAUCHER, DER VON SEINEM RECHT GEBRAUCH MACHT, EINEN
VERTAGSABSCHLUSS IM FERNABSATZ ZU WIDERRUFEN, DARF NICHT
GENERELL DAZU VERPFLICHTET WERDEN, DEM VERKÄUFER WERTERSATZ
FÜR DIE NUTZUNG DER WARE ZU LEISTEN EugH 03.09.2009 C-489/07
In der Pressemitteilung des EuGH heißt es weiter.
PRESSEMITTEILUNG Nr. 69/09
3. September 2009
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-489/07
Pia Messner / Firma Stefan Krüger
EIN VERBRAUCHER, DER VON SEINEM RECHT GEBRAUCH MACHT, EINEN
VERTAGSABSCHLUSS IM FERNABSATZ ZU WIDERRUFEN, DARF NICHT
GENERELL DAZU VERPFLICHTET WERDEN, DEM VERKÄUFER WERTERSATZ
FÜR DIE NUTZUNG DER WARE ZU LEISTEN
Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Verbraucher, der die Ware auf eine mit den
Grundsätzen des bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der
ungerechtfertigten Bereicherung unvereinbare Art und Weise benutzt hat, zum Wertersatz
verpflichtet werden
Die Gemeinschaftsrichtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz
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bestimmt, dass ein Verbraucher einen Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von
mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen kann.
Die einzigen Kosten, die ihm auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der
Rücksendung der Waren.
Da das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) dem Verkäufer aber ermöglicht, vom Käufer für die
Nutzung der gelieferten Ware Wertersatz zu verlangen, fragt das Amtsgericht Lahr den
Gerichtshof nach der Vereinbarkeit einer solchen Verpflichtung mit der Gemeinschaftsrichtlinie.
Diese Frage stellt sich anlässlich eines Rechtsstreits über den Widerruf eines Kaufvertrags über
ein gebrauchtes Notebook, der von einer deutschen Verbraucherin, Frau Messner, über das
Internet abgeschlossen wurde.
Nachdem der Verkäufer des Notebooks die kostenlose Beseitigung eines im August 2006, also
acht Monate nach dem Kauf, aufgetretenen Defekts abgelehnt hatte, widerrief Frau Messner den
Kaufvertrag und bot dem Verkäufer Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises die
Rücksendung des Notebooks an. Der Widerruf erfolgte innerhalb der im BGB vorgesehenen
Fristen, da Frau Messner nicht die nach dessen Bestimmungen für das Inlaufsetzen der Frist
erforderliche Widerrufsbelehrung erhalten hatte. Frau Messner erhob vor dem Amtsgericht Lahr
Klage auf Erstattung des Kaufpreises von 278 Euro. Der Verkäufer trägt beim vorlegenden
Gericht gegen die Klageforderung vor, dass Frau Messner ihm für ihre Nutzung des Notebooks
für etwa acht Monate auf jeden Fall Wertersatz zu leisten habe. Bei einem vergleichbaren
Notebook liege der Mietpreis im Marktdurchschnitt bei 118,80 Euro für drei Monate, so dass sich
für die Nutzungszeit der Klägerin ein Wertersatz von 316,80 Euro ergebe.
In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die generelle Auferlegung eines
Wertersatzes für die Nutzung der durch einen Vertragsabschluss im Fernabsatz gekauften Ware
mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist. Denn wäre das Widerrufsrecht mit negativen
Kostenfolgen verbunden, könnte dies den Verbraucher davon abhalten, von diesem Recht
Gebrauch zu machen.
Falls nämlich der Verbraucher einen solchen Wertersatz allein deshalb leisten müsste, weil er die
Möglichkeit hatte, die durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware in der Zeit, in der er
sie im Besitz hatte, zu benutzen, könnte er sein Widerrufsrecht nur gegen Zahlung dieses
Wertersatzes ausüben. Eine solche Folge nähme dem Verbraucher insbesondere die Möglichkeit,
die ihm von der Richtlinie eingeräumte Bedenkzeit völlig frei und ohne jeden Druck zu nutzen.
Außerdem würden die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts auf Widerruf beeinträchtigt,
wenn dem Verbraucher auferlegt würde, allein deshalb Wertersatz zu zahlen, weil er die durch
Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware geprüft und ausprobiert hat. Da das
Widerrufsrecht gerade zum Ziel hat, dem Verbraucher diese Möglichkeit einzuräumen, kann
deren Wahrnehmung nicht zur Folge haben, dass er dieses Recht nur gegen Zahlung eines
Wertersatzes ausüben kann.
Die Richtlinie hat allerdings nicht zum Ziel, dem Verbraucher Rechte einzuräumen, die über das
hinausgehen, was zur zweckdienlichen Ausübung seines Widerrufsrechts erforderlich ist.
Demzufolge steht die Richtlinie grundsätzlich Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht
entgegen, wonach der Verbraucher einen angemessenen Wertersatz zu zahlen hat, wenn er die
durch Vertragsabschluss im Fernabsatz gekaufte Ware auf eine mit den Grundsätzen des
bürgerlichen Rechts wie denen von Treu und Glauben oder der ungerechtfertigten Bereicherung
unvereinbare Art und Weise benutzt hat.
Die Befugnis der Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der
Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen, ist jedoch unter Beachtung der Zielsetzung dieser
Richtlinie auszuüben und darf insbesondere nicht die Wirksamkeit und die Effektivität des Rechts
auf Widerruf beeinträchtigen. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn die Höhe eines Wertersatzes
außer Verhältnis zum Kaufpreis der fraglichen Ware stünde oder wenn die nationale Regelung
dem Verbraucher die Beweislast dafür auferlegte, dass er die Ware während der Widerrufsfrist
nicht in einer Weise benutzt hat, die über das hinausgeht, was zur zweckdienlichen Ausübung
seines Widerrufsrechts erforderlich ist.
Das Amtsgericht Lahr hat nun den Rechtsstreit im Lichte der vom Gerichtshof festgestellten
Grundsätze unter gebührender Berücksichtigung aller seiner Besonderheiten zu entscheiden,
insbesondere der Natur der fraglichenWare und der Länge des Zeitraums, nach dessen Ablauf der
Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung der dem Verkäufer obliegenden Informationspflicht
seinWiderrufsrecht ausgeübt hat.
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