Die Kündigung wegen Krankheit
Der folgende Beitrag befasst sich mit der Frage, ob einem Arbeitnehmer während der Dauer einer Erkrankung die Kündigung ausgesprochen werden darf und welche Wirksamkeitsvoraussetzungen für eine solche Kündigung gelten.
Erstaunlicherweise wird man in der anwaltlichen Praxis verhältnismäßig häufig mit der Rechtsauffassung konfrontiert, einem erkrankten Arbeitnehmer könne nicht gekündigt werden. Arbeitsunfähigkeit schütze also sozusagen vor Kündigung. Es handelt sich hierbei um einen - populären - Rechtsirrtum.
Die Kündigung wegen Krankheit
Der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers richtet sich nach den "normalen" Regeln. Liegt ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis von mindestens sechs Monaten Dauer vor und sind in dem Betrieb regelmäßig mehr als 10 (Vollzeit-) Arbeitnehmer - ohne Auszubildende - beschäftigt, ist das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar.
In diesem Fall bedarf die Kündigung einer sozialen Rechtfertigung. Das bedeutet, dass sie auf personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen beruhen muss.
1.) Vereinfacht gesagt liegt ein personenbedingter Kündigungsgrund vor, wenn der Arbeitnehmer - aus Gründen, die in seiner Person liegen - nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zukünftig zu erbringen. Ursache hierfür kann zum Beispiel der Verlust einer erforderlichen Lizenz oder Arbeitserlaubnis sein. Der in der Praxis wichtigste Anwendungsfall der personenbedingten Kündigung ist die Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit. In diesem Fall geht es also darum, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung nicht mehr in der Lage ist, den Arbeitsvertrag zukünftig ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Praxis unterscheidet an dieser Stelle vier Fallgruppen:
1.Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen,
2.Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung,
3.Kündigung wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit,
4.Kündigung wegen erheblicher krankheitsbedingter Leistungsminderung.
2.) Damit die Kündigung sozial gerechtfertigt ist, muss die Krankheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen geführt haben. Darüberhinaus muss eine solche Beeinträchtigung auch zukünftig zu befürchten sein („negative Zukunftsprognose").
a) Negative Gesundheitsprognose
Es muss aufgrund objektiver Tatsachen zu befürchten sein, dass weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang auftreten werden. Es liegt auf der Hand, dass eine solche negative Prognose bei einem Unfall nicht gemacht werden kann. Das Gegenteil ist der Fall, wenn zurückliegende Fehlzeiten auf Beschwerden des Bewegungsapparates zurückzuführen sind, weil dies von einer gewissen Anfälligkeit zeugt und die Gefahr der Wiederholung begründet.
In der Praxis hat der Arbeitgeber an dieser Stelle ein Problem: Wie soll er die zukünftige Gesundheitsentwicklung beurteilen, wenn ihm in die hierfür erforderlichen Informationen fehlen? Das Bundesarbeitsgericht hält den Arbeitnehmer nicht für verpflichtet, über seinen Gesundheitszustand Auskunft zu geben und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Dem Arbeitgeber ist also vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung anzuraten, den Arbeitnehmer über dessen Gesundheitszustand zu befragen. Äußert sich dieser nicht, hat der Arbeitgeber keine rechtliche Handhabe, von sich aus eine weitere ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers zu erzwingen.
Hingegen hat der Arbeitgeber gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen einen Anspruch, dass diese eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt ( § 275 Abs. 1 Nr. 3b SGB V). Die Prüfung findet grundsätzlich unverzüglich nach Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung statt und nicht etwa erst dann, wenn die Krankenkasse (nach dem Ende der Entgeltfortzahlung) Krankengeld zahlen muss.
Will der Arbeitgeber eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den MDK erreichen, so muss er seine Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit konkret und schlüssig darlegen.
Das Gesetz nennt zwei Fallgruppen, in denen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit insbesondere vorliegen, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist:
• Versicherte sind auffällig häufig arbeitsunfähig oder auffällig häufig für kurze Dauer arbeitsunfähig, oder der Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit fällt häufig auf nur einen Arbeitstag am Beginn oder Ende einer Woche oder
• Die Arbeitsunfähigkeit ist von einem Arzt festgestellt, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist.
In einem Arbeitsgerichtsverfahren muss der Arbeitgeber Indizien vortragen, die auf eine negative Gesundheitsprognose hinweisen (z. B. Wiederauftreten eines Grundleidens, besondere gesundheitliche Anfälligkeit, zum Beispiel psychische Labilität oder Hypochondrie). Der Arbeitnehmer hat sodann seinerseits vorzutragen und zu beweisen, weshalb dies nicht zutrifft und warum mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist.
b) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen
Die prognostizierten Fehlzeiten können die Kündigung nur dann sozial rechtfertigen, wenn sie zu konkreten Betriebsablaufstörungen oder zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen. Zu Letztgenannten zählen die Mehrkosten für den Einsatz von Aushilfskräften und insbesondere die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten. In einem Gerichtsverfahren muss der Arbeitgeber hier konkret vortragen und im Streitfall auch beweisen.
c) Umfassende Interessenabwägung
Zu den Prinzipien des Kündigungsrechts gehört grundsätzlich eine umfassende Interessenabwägung. Es ist also zu fragen, ob die festgestellten Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber in Kauf genommen werden müssen oder ob sie ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie ihm nicht mehr zuzumuten sind. An dieser Stelle ist zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind. Auch ist bedeutsam, wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist und ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält. Außerdem spielen das Alter und der Familienstand des Arbeitnehmers, eine etwaige Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten eine Rolle. Schließlich sind etwa eingetretene Betriebsablaufstörungen - insbesondere deren Häufigkeit und Umfang - zu berücksichtigen und ob der Arbeitgeber zusätzlich noch mit hohen Entgeltfortzahlungskosten belastet wurde. Unerheblich ist übrigens ob der Arbeitgeber bei der Einstellung Kenntnis von der Erkrankung hatte. Ihn trifft insofern nicht etwa eine erhöhte Rücksichtnahmepflicht, weil er bei der Einstellung um die „Anfälligkeit" des Arbeitnehmers wusste.
3.) Nach § 84 Abs. 2 SGB IX muss bei allen Arbeitnehmern - nicht nur bei behinderten Menschen - ein betriebliches Eingliederungsmanagement („BEM“) durchgeführt werden, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind. Welche Folgen ein Verstoß gegen diese Vorschrift hat, ist noch nicht abschließend geklärt. Im Gesetz selber findet sich keine Sanktion. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung eines BEM berührt daher die Wirksamkeit einer Kündigung nicht, kann aber nach einer jüngeren Entscheidung des BAG Folgen für die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Prüfung der betrieblichen Auswirkungen der prognostizierten Fehlzeiten haben. Daher ist zu empfehlen, in den genannten Fällen mit dem betroffenen Arbeitnehmer und dem Betriebs-, bzw. Personalrat zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden kann.
Gordon Neumann
Rechtsanwalt
Geschäftsführender Gründungspartner und Ansprechpartner für Kündigungssschutzrecht bei www.wns-partner.de
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